(erschienen in der MALMOE 64 im diskursiv-Teil;
Achtung kann Spuren migräniger
schlechter Laune enthalten)
Glückwunsch, @realeHerrschaftsverhältnisse folgt dir jetzt
Zum Thema Diskriminierung im Internet etwas schreiben?
Klar, zum Thema Diskriminierung im Internet muss dringend geschrieben werden, wird bereits geschrieben, viel diskutiert, auf Konferenzen geredet. Es gibt einige Videoaufzeichnungen von Vorträgen dazu. Abrufbar via Internet. Und doch sind es noch zu wenige. Manche werden kurze Zeit nach ihrer Publikation vom Netz genommen, weil die Sprechenden derart angefeindet werden, dass ihre Rede über und gegen die Diskriminierung im Internet vom Druck des hate speech ins Off(line) gedrängt wird. Weil mensch sich das nicht (mehr) antun will. Weil Veranstalter_innen mit mangelnder Größe klein beigeben und Vorträge von ihren Videoplattform-Konten nehmen. Vielleicht liegt es gar daran, dass die engagiertesten Diskriminierendenvgerade nun die Flag-Funktion entdeckt und mit einem Aufruf unter ihresgleichen Erfolg haben: “Was die Linken können, können wir doch auch.”
Wenige Tage nach der Präsentation einer in der österreichischen Twitterbubble viel beachteten Twitterstudie zur “österreichischen Innenpolitik auf Twitter” ist eine — twitternde — Journalistin immer noch perplex. Sie ist enttäuscht, sagt sie, und versteht nicht, dass Frauen dort unterrepräsentiert sind. Dass mensch das ansprechen, sich verteidigen und mit blöden Meldungen auseinandersetzen muss. Vor allem aber mache sie bestürzt, wie bei der Podiumsdiskussion anlässlich der Studie — freilich mit vorwiegend männlichem Podium — die prominenten Leittwitterati ein peinlich machistisches Schauspiel aufführten “als wären wir gesellschaftlich nicht schon viel weiter!”
Ach, die Twitterbubble als progressive, egalitäre und überhaupt bessere Parallelwelt?
Ja, zum Thema Diskriminierung im Internet muss dringend geschrieben, diskutiert, gedacht, geforscht und vor allem entgegen getreten werden. Die Diskriminierung wird als neu wahrgenommen. Einzelne Phänomene und Qualitäten sind das auch. Die Diskriminierung ist es freilich nicht. Was wenn wir auf hatr.org, in standard.at Foren, in den Kommentarthreads feministischer Blogs oder im Gästebuch der Blasmusikkapelle Hintertupfings, auf youtube und facebook nur die unverhohlene Fratze der Realverhältnisse pur vor Augen geführt bekommen.
Pur und ohne den Filter unser Lebensweltblasen. Was wenn die Zeit und Raum entgrenzende Dynamik der hyperverlinkten http://welt uns unmittelbar und unvermittelt mit der gesamtgesellschaftlichen Wirklichkeit konfrontiert: das sind die herrschenden Verhältnisse.
Wir kennen die Tonalitäten der funktionierenden Postingforen. Wer hat sich noch nicht irgendwann am Kommentarstreit unter Artikeln beteiligt, liest dort nach, ärgert sich über Kampfpsoter und darüber, welche Sätze und Aussagen da oder dort freigeschalten werden.
Wirklich ärgern und beschäftigen sollte uns die Ökonomie dahinter. Würden die Moderator_innen belebter Kampfpostingforen diffamierende, rassistische, hasserfüllte, maskulinistische Kommentare ausschließen, wären diese Kampfpostingforen sehr bald keine mehr sondern links wie rechts liegen gelassene Einöden. Die Klickrate ginge in den Keller. Die Diskriminierer gäben das Medium alsbald auf, nach einer Phase versuchter Adaption auf ein geringere Maßeinheit des hate speech.
Aber gar kein hate speech durchkommen lassen? Das wäre Bestätigung ihres Hasses auf dieses Medium. Nicht mal “Zensur!!1!1!!11″ würden sie dann dort allzu lange schreien, sondern ganz abwandern.
Die gegen Diskriminierung auftretenden “Psoter” und gegen hate speech Poster hätten dann … nicht das Forum für ihre Diskussion gewonnen sondern … ihre Ruhe. Sie würden nicht mehr posten.
Was müssen die Moderator_innen umfehdeter Kampfposterforen also tun? Sie müssen Partei, strukturell zumindest, für die Diskriminierer Partei ergreifen, hate speech auf einem Level halten, der ökonomisch optimierend, die Einen mehr oder weniger moderat ihren rassistischen, chauvinistischen, maskulinistischen und oder neoliberalen Geifer absondern lässt, damit die Anderen zum Widerstand entschlossen dagegen auftreten.
In der Ökonomie der idealen Trolle- und Kampfposterversorgung trifft sich die Logik des Kapitalismus mit dem Zwang zur Reproduktion der chauvinistischen Leitkultur.
Das “Internet” als Raum ist gesamtgesellschaftlich betrachtet immer noch relativ neu. Die Kolonisierung, Einhegungen, allgegenwärtige Kommodifizierung unter Unterwerfung unter die Kulturindustrie nimmt erst richtig Fahrt auf, die Psychogeografie aller möglichen öffentlicher und halböffentlicher Knotenpunkte, Transmissionsräume, Foren und großer Plätze wandelt sich stetig, alles ist umkämpftes Terrain. Wir erleben den Backlash der realen Herrschaftsverhältnisse in einer eben noch von den meisten als “virtuell” (= unwichtig(?)) angenommen und wahrgenommen Welt.
Diese Zeiten sind vorbei.
Der herrschenden Klasse ist bewusst geworden, dass sie “das Internet” domestizieren muss. Die Reaktion von Patriarchat, Kapital, Chauvinisten und Nationalisten, den Sittenwächtern und Missionaren ist mit Blick auf die Geschichte nur logisch. Die haben die Herrschaft zu verlieren und müssen Verhältnisse konservieren.
Uns sollte das eigentlich nicht stören, höchstens grimmig bestätigen. Wir sind uns der herrschenden Verhältnisse schließlich bewusst, ebenso wie wir uns unseres Widerstands dagegen sicher sind, diese zu reproduzieren. Wir könnten allerdings eine Chance besser nutzen. Wir könnten die Logik und die Bedingungen des Backlash viel klarer debattieren. Wir müssten die Reaktion deutlicher als solche demaskieren und dazu verwenden, die herrschenden Herrschaftsverhältnisse sichtbarer und angreifbarer zu machen.