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Die Herausforderung des Internet als Herausforderung für die Politische Bildung

Hier der Ver­such, die Her­aus­forderung Social Media und Inter­net für Lehrer_innen in der poli­tis­che Bil­dung grundle­gend aufzu­bere­it­en.

 

Ein­gangs fol­gen­des Dik­tum:

Wer über Social Media, Soziale Bewe­gun­gen und poli­tis­che Bil­dung sprechen will, darf über Inter­net und World Wide Web nicht schweigen.

Das Inter­net bildet die Basis für all das, was wir seit einem knap­pen Jahrzehnt als Social Media anse­hen. Wenn uns an einem tief­er­en Ver­ständ­nis von Social Media und Sozialen Bewe­gun­gen gele­gen ist, müssen wir uns damit beschäfti­gen, was das denn eigentlich ist.
“Das Inter­net”.
Das “Web”.

Wir ste­hen vor der Her­aus­forderung, dass wir selb­st einen adäquat­en Begriff des tech­nol­o­gis­chen Wan­dels und der gesellschaftlichen Imp­lika­tio­nen brauchen, bevor wir daran denken kön­nen, anderen mehr als angel­erntes, ober­fläch­lich­es Wis­sen zu ver­mit­teln. Tief­eres Ver­ständ­nis als Basis emanzi­pa­torisch­er Hand­lungs­fähigkeit, das ist nicht ein­fach angesichts der vielschichti­gen, kom­plex­en und weit­er­hin rel­a­tive neuar­ti­gen Phänomene, die uns eben­so einzeln wie als Gesellschaft vor man­nig­faltige Prob­leme stellen.

Die Kondratieff-Zyklen. Ein Auszug aus Erik Händeler: Die Geschichte der Zukunft (via linkmatrix.eu).
Die Kon­drat­jew-Zyklen. Ein Auszug aus Erik Hän­del­er: Die Geschichte der Zukun­ft (via linkmatrix.eu).

Wie lässt sich eine Mon­strosität wie das Inter­net, das uns all­ge­gen­wär­tig umgibt und trotz­dem so schw­er greif­bar ist, in sein­er Gesamtheit erfassen?

Wie kön­nen wir den The­menkom­plex päd­a­gogisch ange­hen und fundieren, so dass implizite Missver­ständ­nisse und unwesentliche Annah­men abgear­beit­et wer­den, während sys­temis­ches Grund­ver­ste­hen aufge­baut wird, aus dem her­aus es möglich ist, eben­so einzelne Fra­gen und Antworten abzuleit­en wie zukün­ftige Entwick­lun­gen einzuord­nen?

Ich will das Ziel ein­er solchen Auseinan­der­set­zung mit Fou­caults bekan­nter Formel „Was ist Kri­tik“, näm­lich „die Kun­st nicht der­maßen regiert zu wer­den“, auf einen Punkt brin­gen: ((Fou­cault 1992, 12))

Wie kann Kri­tik von Social Media und Sozialen Bewe­gun­gen zur poli­tis­chen Bil­dung wer­den, die sich nicht in Bew­er­tun­gen aktuell disku­tiert­er Phänomen erschöpft son­dern gesellschaftliche Funk­tio­nen, Wech­sel­wirkun­gen und Kämpfe nachvol­lziehbar macht.

Oder kürz­er: die Kun­st nicht der­maßen vom tech­nol­o­gis­chen Wan­del über­fordert zu wer­den.

Der fol­gende Text schlägt ein Cur­ricu­lum samt prak­tis­ch­er Auf­gaben­stel­lun­gen vor, das dieser Vision ver­schrieben ist.

Aus der Pub­lika­tion der Öster­re­ichis­chen Gesellschaft für Poli­tis­che Bil­dung «Im Blick­winkel: Poli­tis­che Erwach­se­nen­bil­dung in Österreich» hg. von Rahel Baum­gart­ner und Hakan Gürses.

Die einzel­nen Etap­pen zie­len dabei nicht auf das Geben von Antworten son­dern die Kom­pe­tenz zu fra­gen und sich zu ori­en­tieren ab, also nicht auf Schließung son­dern auf Öff­nung. Mit jed­er Etappe sind Auf­gaben ange­führt, die exem­plar­isch einen Ein­druck geben mögen, was in der Bil­dungsar­beit an dieser Weg­marke disku­tiert wer­den kön­nte.

Begonnen wird mit der Zeich­nung ein­er Analo­gie, die unsere Posi­tion und unser Ver­hält­nis zu den Phänomen Inter­net, Web und Social Media neu fasst.

Im näch­sten Schritt geht es um die Ein­führung ein­er Meta­pher, die eben diese Phänomene und ihre Vielschichtigkeit beschreibt.

Mit dem drit­ten Schritt gelan­gen wir zu ein­er klaren struk­turellen Def­i­n­i­tion „Was uns das Inter­net alles ist“. ((Wenn im weit­eren Ver­lauf vom Inter­net und nur an aus­ge­sucht­en Stellen auch vom WWW und den Social Media gesprochen wird, so dient das der Ver­mei­dung umständlich­er Ver­dopplun­gen. Das “Inter­net” wird als Bedin­gung der Emer­genz der bei­den weit­eren Phänomene expliz­it vor­angestellt, Web und SM sind in der Regel mit­ge­meint.))

Nach diesen ersten drei Etap­pen, die zusam­men darauf abzie­len, einen umfassenden Begriff des kom­plex­en Phänomens Inter­net in unser­er Gesellschaft zu entwick­eln, wird die Verbindung zu sozio-kul­turellen Inter­essen, poli­tisch-ökonomis­chen Kon­flik­ten und sozialen Bewe­gun­gen skizziert.

Schritt fünf nimmt sich daraufhin des Bemessens von Verän­derun­gen und gesellschaftlichem Wan­del an.

Schließlich geht es in zwei Schrit­ten darum, das Wesen von Social Media zu ver­ste­hen. Dazu geht es freilich zuerst um das kom­ple­men­täre Andere dessen, was wir als Social Media ver­ste­hen, näm­lich die tra­di­tionellen Massen­me­di­en.

Am Ziel all dieser Schrit­ten soll­ten wir bei einem brauch­baren Grund­ver­ständ­nis dafür ange­langt sein, was das Inter­net als Bedin­gung der Möglichkeit unser­er gegen­wär­ti­gen For­men der Verge­sellschaf­tung ist und mit den Sozialen Bewe­gun­gen zu tun hat.

Die let­zte Etappe des Cur­ricu­lums ver­sucht die Erfahrun­gen der zurück­gelegten Wegstrecke für eine knappe Diag­nose zusam­men­zuführen, wo wir heute in Bezug auf Social Media und Soziale Bewe­gun­gen ste­hen, wie wir hier angekom­men sind und worum es in Zukun­ft gehen wird.

Bevor es mit diesem Pro­gramm los­ge­ht, erscheint es mir notwendig, zwei berechtigte Vor­be­halte anzuführen:

Da ist zum ersten prob­lema­tisch, nur bis zum Inter­net auszu­holen und nicht noch eine Schicht grundle­gen­der mit dem Wesen des Dig­i­tal­en als Basis für unser Ver­ste­hen anz­u­fan­gen. Für das Buch für den dieser Auf­satz geschrieben wurde, hätte das den Rah­men allerd­ings vol­lends gesprengt.

'From Cash To Digital' von FamZoo Staff (creative commons).
‘From Cash To Dig­i­tal’ von Fam­Zoo Staff (cre­ative com­mons).

Zweit­ens kön­nte zum ein­lei­t­en­den Dik­tum gut und gerne addiert wer­den:

… und zum Inter­net sollte bess­er schweigen, wer ern­sthaft und uniro­nisch zu ver­ste­hen glaubt, was das Inter­net wirk­lich ist.

Nein, ich bilde mir nicht ein, das Inter­net zu ver­ste­hen.

Ich würde sog­ar sagen, dass wir alle an diesem uni­ver­sal- und kul­turgeschichtlich Punkt der Gegen­wart gar nicht in Lage sein kön­nen, das Inter­net samt anschließen­den Phänome­nen wirk­lich zu ver­ste­hen.

Nur, das ist kein Anlass zur schamhaften Zurück­hal­tung. Im Gegen­teil.

Die Über­forderung unser­er Gesellschaft mit den immer noch rel­a­tiv neuen tech­nol­o­gis­chen Umwälzun­gen ver­di­ent, nicht nur einge­s­tanden son­dern als solche the­ma­tisiert und reflek­tiert zu wer­den. Mein Vorschlag wäre, sie zum Aus­gangspunkt auch der didak­tis­chen Auseinan­der­set­zun­gen zu machen.

Die Analogie der ersten Moderne

Es ist eine der poli­tis­chen Bil­dung oft nicht gegebene Gnade des Fachs der Historiker_innen, dass zweit­ere zu Geschichte(n) zusam­men­fassen kön­nen, was aus ihrer Posi­tion des Sprechens bere­its zurück­liegende Ereignisse sind, abgeschlossene Entwick­lun­gen und bezüglich Rel­e­vanz klar zu Tage getretene Zusam­men­hänge.

Das Sprechen über den zeit­genös­sis­chen tech­nol­o­gis­chen Wan­del muss dage­gen aus der Mitte der gegen­wär­ti­gen Umbrüche und Umwälzun­gen kom­men. Im Unter­schied zu anderen Umwälzun­gen unser­er Zeit, die in große Begrif­f­en wie Glob­al­isierung, Überwachung, Neolib­er­al­is­mus, Kli­mawan­del, Prekarisierung gefasst wer­den, ist “das Inter­net” etwas, das wir selb­st laufend benutzen.

Immer mehr ist das Inter­net unser Zuhause, ein Raum, in dem wir uns bewe­gen, wahrnehmen, begeg­nen, denken, sprechen.

Ein Jahrhun­dert früher sind es Erzäh­lun­gen aus den elek­tri­fizierten, indus­tri­al­isierten Großstädten, die von der Erfahrung unbändi­gen, unüber­schaubaren, bun­ten Treibens und von neuen, schwindel­er­re­gen­den Geschwindigkeit­en bericht­en. Die Erzäh­lun­gen von damals ähneln in viel­er­lei Hin­sicht unseren Erzäh­lun­gen von heute. Vom Sog der Großs­tadt fasziniert, wird sie für viele und vieles zum Raum, der neues gebirt, während andere in Abwehr und Ablehnung die Kon­servierung früher­er Ver­hält­nisse suchen.

Die Tram elektrifiziert, die Stadtbahn vor 1910 noch nicht, Wien rund um den Josefstädter Gürtel bereits dicht bebaut.
Die Tram elek­trisch, die Stadt­bahn um 1910 noch nicht und Wien am Josef­städter Gür­tel bere­its dicht bebaut.

Ging es im Angesicht der mod­er­nen Metro­pole – Paris 1870, Lon­don 1880, New York 1890, Berlin 1900, Wien 1910 – darum, die Wucht der Erfahrung ein­er auf allen Ebe­nen explodieren­den Großs­tadt zu ver­ar­beit­en, han­deln unsere Erzäh­lun­gen heute von der Wucht, mit der die dig­i­tale Rev­o­lu­tion, die mod­erne Unter­hal­tungse­lek­tron­ik und das Inter­net unsere Lebenswel­ten und sozialen Sys­teme durcheinan­der brin­gen.

Betra­cht­en wir unsere Gegen­wart des frühen 21. Jahrhun­derts vor der Folie des Moder­nitätss­chocks des Fin de Siè­cle, ermöglicht das Wis­sen über damals, Bedin­gun­gen unser­er unmit­tel­baren Gegen­wart klar­er zu sehen.

Auf­gabe: Ver­gle­iche die Sit­u­a­tion von Zeitgenoss_innen des Fin de Siè­cle mit jen­er, in der wir uns heute befind­en. Arbeite her­aus, welche Her­aus­forderun­gen damals und heute die Zeitgenoss_innen fasziniert und beschäftigt haben. Gibt es Ähn­lichkeit­en in der Erfahrung der Elek­tri­fizierung, von Eisen­bahn, Auto und mod­er­nen Großstädten damals mit den gegen­wär­ti­gen Erfahrun­gen ein­er dig­i­tal­isierten Welt, des Inter­nets und der Social Media?

Was bedeuten die neuen Umge­bun­gen für die Poli­tik, Kun­st, Lit­er­atur, Wis­senschaften und Wirtschaftssys­teme?

 

Mit dieser Analo­gie wird dem, was wir pointiert den Schock der Mod­erne nen­nen kön­nten, unsere Gegen­wart zur Seite und gegenüber gestellt.

Für das Heute wäre es dann kon­se­quent, von einem Schock der Post­mod­erne zu sprechen. Das mag für die Charak­ter­isierung unser­er gegen­wär­ti­gen kul­turgeschichtlichen Spanne über­trieben klin­gen und hieße, unsere Gegen­wart als Schwellen­zeit zu definieren. Der Unsicher­heit und Über­forderung im Angesicht der aktuellen Her­aus­forderun­gen wird ein weit­eres Ele­ment der Ungewis­sheit hinzufügt, in welche Rich­tung sich die Welt entwick­elt.

Das Arbeit­en mit der Analo­gie lässt uns dafür – zumin­d­est method­isch – von dieser Unsicher­heit, Über­forderung und Ungewis­sheit aus­ge­hen, lässt sie uns nicht nur akzep­tieren, son­dern zum ana­lytis­chen Aus­gangspunkt machen und im Spiegel der Mod­erne die Dis­tanz eines guten Jahrhun­derts nutzen, um uns selb­st bess­er zu sehen.

Es ist das ein Kniff gle­ich jen­em, den Ita­lo Calvi­nos Mar­co Polo in den unsicht­baren Städten anwen­det, wenn er dem Khan von den Städten auf seinen Reisen erzählt. ((Calvi­no 2013)) Alle diese Städte han­deln von der einen, die dabei nicht genan­nt wird, von der Stadt, mit der alle anderen impliz­it ver­glichen wer­den. In den Erzäh­lun­gen von den unsicht­baren Städten spricht Mar­co Polo immer von Venedig. Das Beschreiben der anderen Städte stellt die Dis­tanz her, das zu Nahe, zu Selb­stver­ständliche, zu Dis­tan­zlose klar­er ins Auge zu nehmen.

Die Metapher der wie wuchernd wachsenden Großstadt

Stellen wir uns im näch­sten Schritt nun das Inter­net tat­säch­lich als Metro­pole vor. Die Großs­tadt als Geflecht von Verkehr­swe­gen und ‑knoten­punk­ten, durch die der traf­fic rauscht, als ver­net­zter Bal­lungsraum viel­er großer und klein­er Spe­ich­er.

Wir nutzen in dem Fall eine Meta­pher, die seit län­gerem so manchen Men­schen als nahe­liegend ein­fällt. ((Ich ver­wende sie in der poli­tis­chen Bil­dung seit Jahren und mache die Erfahrung, dass sie hil­fre­ich ist und funk­tion­iert.)) Die Großs­tadt selb­st bietet den Vorteil, räum­lich sinnlich durch die eigene Bewe­gung in ihr erfahrbar zu sein (und darüber hin­aus über viele andere Wege).

Der Begriff der Großs­tadt bietet den Vorteil, viele Aspek­te, man­nig­faltige Dimen­sio­nen, unzäh­lige Bilder, diverse Erfahrun­gen und aber auch abstrak­te Konzepte schein­bar wider­spruchs­frei zusam­men­z­u­fassen. Die Kom­plex­ität der Großs­tadt über­fordert uns weniger als jene von Inter­net und Web, weshalb wir unser intrin­sis­ches Ver­ständ­nis von urbaner Kom­plex­ität nutzen kön­nen, jene von Inter­net und Web zu bewälti­gen.

Eine Stadt, nicht einmal eine große, irgendwo in Vietnam. (Foto: Khánh Hmoong)
Die Struk­tur, Vielfalt und Vielschichtigkeit ein­er Stadt, und nicht ein­mal eine große, irgend­wo auf diesem Plan­eten. (Foto: Khánh Hmoong)

Mitte der 2010er Jahre dür­fen wir uns let­ztere freilich nicht als seit dem Mit­te­lal­ter gewach­sene, zen­tral organ­isierte, mit­teleu­ropäis­che Großs­tadt vorstellen. Passender als das Bild von Wien heute wäre eines von Mexiko-City oder Mum­bai.

Alles, was von aktuellen Stadt­plä­nen ger­ade abge­bildet wird, wür­den wir das per Such­mas­chine Auffind­bare nen­nen.

In den riesi­gen wilden Sied­lun­gen eben­so wie in gat­ed com­mu­nites wür­den wir uns in Erman­gelung ein­heitlich­er Regeln nur mit lokaler Unter­stützung und Genehmi­gung bewe­gen beziehungsweise zurechtfind­en; die Ord­nungs- und Diszi­plin­ierungssys­teme sind da oder dort zu unter­schiedlich aus­geprägt.

In die unzugänglichen deep net und anonym-geheimnisvoll dark net genan­nten Unter- und Abgründe der Stadt kom­men wir allein mit exk­lu­sivem Wis­sen.

Es gibt viele Insti­tu­tio­nen, aber (noch) keine zen­trale Ver­wal­tung und Regierung. Die Prinzip­i­en der Selb­stor­gan­i­sa­tion und der Selb­stver­wal­tung sind häu­fig anzutr­e­f­fen, sie sind für das Funk­tion­ieren ganz­er Vier­tel notwendig.

Es gibt mehrere Zen­tren, viele Periph­e­rien, und die Bewohner_innen sind nach Klasse, Schicht oder Milieu unter­schei­d­bar.

Es gibt seit der Grün­dung der Stadt hier lebende und eben frisch zuge­zo­gene Städter_innen. Die einen ken­nen sie noch als über­schaubares Dorf, andere sehen sie aus der Per­spek­tive der Einwohner_innen eines gut organ­isierten Stadt­teils neuge­bauter Miet­woh­nun­gen, und wieder andere ver­suchen sich ger­ade im Trubel ein­er wilden Sied­lung zu ori­en­tieren.

An Freiräu­men man­gelt es nicht, während klar­erweise immer mehr Bezirke den Logiken von Markt, Macht und Ver­wal­tung unter­wor­fen wer­den.

Der Praterstern in Wien um 1830. Um die Jahrhundertwende sind manche Trapeze schon bebaut, der Nordbahnhof bringt täglich neue Bewohner_innen an. Heute kämpfen Bürgerinitiativen gegen den Ausverkauf der letzten kleinen Freiflächen.
Der Prater­stern in Wien um 1830. Um 1900 sind die meis­ten Trapeze bebaut, der riesige Nord­bahn­hof bringt täglich neue Bewohner_innen. Ein Jahrhun­dert später, heute, kämpfen Bürg­erini­tia­tiv­en gegen den vol­lkomme­nen Ausverkauf der let­zten kleinen Frei­flächen.

Übri­gens kön­nen wir an dieser Stelle bere­its fra­gen, was an der Stadt das Inter­net wäre: die materielle Ebene der Straßen, Gebäude, Kanal­i­sa­tion, Leitun­gen usw., was das Web: das Leben und Treiben der Bewohner_innen, die in ihrer inter­agieren­den Gesamtheit erst die Stadt kon­sti­tu­ieren, und was die Social Media: die durch die Stadt drin­gen­den vie­len Gespräche, die vor allem an Schulen, Märk­ten, Shop­ping-Malls, mit Ver­anstal­tun­gen bespiel­ten zen­tralen Plätzen usw. verdichtet und ver­bre­it­et wer­den?

Es wäre das eine poten­zielle Auf­gabe, die Dif­feren­zierung und begrif­fliche Schär­fung ein­er­seits anhand der Megac­i­ty-Meta­pher zu trainieren und ander­er­seits zu disku­tieren, inwieweit die sprach­liche Abgren­zung der Begriffe gle­ichzeit­ig das Zusam­men­spiel des Ganzen aus dem Blick nimmt.

Was die Meta­pher der Megac­i­ty jeden­falls plas­tisch her­ausar­beit­en sollte, eben­so wie die zuvor einge­führte Analo­gie zwis­chen dem Umbruch der Mod­erne und jen­em der Gegen­wart, sind die Logik und die Sicht­barkeit gesellschaftlich­er Kon­flik­te rund um Inter­net, Web und Social Media. Diese kön­nen so verortet wer­den, wie das im Gewebe der Stadt gut möglich ist. Da wie dort geht es um Architek­tur, Kon­trolle über Infra­struk­tur und Nutzungs­for­men, um Teil­habe und darum, welche gesellschaftlichen Grup­pen ihre Vorstel­lun­gen durch­set­zen kön­nen.

Auf­gabe: Konzip­iere Stadt­führun­gen, die in die ver­schiede­nen Vier­tel, Dimen­sio­nen, Funk­tio­nen und Prob­leme der Metro­pole „Inter­net“ ein­führen.

Betra­chte das Auftreten neuer, vor­dem nicht möglich­er und daher nicht denkbar­er Organ­i­sa­tions­for­men mit der Megac­i­ty-Inter­net-Meta­pher. Unter­suche, inwieweit sich Ansprüche an poli­tis­ch­er Beteili­gung und Fra­gen der Herrschaft von der Stadt auf das Inter­net umle­gen lassen.

 

Wozu und wie wir das Internet gebrauchen

Das Bild des Inter­nets als lebendi­ge Großs­tadt ist angedeutet. Wie viel sich damit anfan­gen lässt, muss hier der weit­eren Arbeit mit der Meta­pher oder der Phan­tasie über­lassen wer­den.

Die nun fol­gende struk­turelle Def­i­n­i­tion funk­tion­iert anders als eine Erzäh­lung, sollte sich aber in dieses Bild des Inter­nets als urbane Metro­pole inte­gri­eren lassen.

Die Def­i­n­i­tion basiert darauf, vier grundle­gende Funk­tio­nen zu dif­feren­zieren, die “das Inter­net” gle­ichzeit­ig für Men­sch und Gesellschaft erfüllt. Das Inter­net ist all diese vier Funk­tio­nen und Dimen­sio­nen in Einem!

Erstens ist es glob­ales Trans­portmedi­um.

Zweit­ens ist es glob­ales Spe­icher­medi­um.

Drit­tens ist es glob­ales Kom­mu­nika­tion­s­medi­um.

Viertens ist es außer­dem glob­ale Ressource und glob­ale Infra­struk­tur.

Warum erachte ich die Unter­schei­dung dieser Dimen­sio­nen für notwenig und hil­fre­ich, wie lässt sich dieses Raster mit der Großs­tadt­meta­pher denken, und wie sieht es mit der Anwend­barkeit für die poli­tis­che Bil­dung aus?

Def­i­n­i­tio­nen des Inter­nets set­zen in aller Regel bei der Erk­lärung allein tech­nis­ch­er Bedin­gun­gen an. Befra­gen wir das World Wide Web via Such­mas­chine, so gelan­gen wir zum Ein­trag “Inter­net” der freien Online-Enzyk­lopädie Wikipedia. Das tuend, führen wir aus mehreren möglichen die heute gemein­hin wahrschein­lich­ste Hand­lung dafür aus, etwas zu recher­chieren.

Prozent der Personen im Internet, die regelmäßig diese Möglichkeiten nutzen: E-Mail, Suchmaschinen, Nachrichten online verfolgen, einkaufen, social media bzw. networks.

Im Akt, eine all­ge­mein anerkan­nte Erk­lärung dafür her­auszusuchen, was das Inter­net ist, greifen wir auf kul­turelles Gedächt­nis über das Inter­net zu, machen das im kollek­tiv­en Gedächt­nis Web, machen das gemäß zeit­genös­sis­ch­er Inter­net-Kul­tur, machen das ver­mit­tels WWW, machen das unsere Suchan­frage in Bits and Bytes ins Netz sendend, die Bits and Bytes zum Aufruf des Inter­net-Ein­trags der Plat­tform Wikipedia emp­fan­gend. Dieser wohl mil­lio­nen­fach durchge­spielte Ablauf, über den noch einiges mehr zu sagen wäre, macht klar, dass tech­nis­che Erk­lärun­gen allein nie erfassen kön­nen, was Inter­net und Web wirk­lich sind.

Für die poli­tis­che Bil­dung ist ein auf tech­nis­che Bes­tim­mungen reduziert­er Begriff ungenü­gend. Bedeu­tend ist vielmehr der Fokus auf gesellschaftliche Nutzung, gesellschaftliche Bedeu­tung, gesellschaftliche Bedin­gun­gen usw. ((Ich würde dage­gen ein Ver­ständ­nis von Tech­nik vorziehen, dass gle­ichzeit­ig die materielle Ebene, die men­schlichen Hand­lun­gen zur Nutzung und die mit der Nutzung aus­ge­führten sozialen Funk­tio­nen umfasst. Siehe dazu Roh­pohl 1991.))

Es bedarf kein­er tief­greifend­en Analyse, um sich zu verge­gen­wär­ti­gen, wie essen­tiell die vier Dimen­sio­nen Transport‑, Kommunikations‑, Spe­icher­medi­um sowie Ressource und Infra­struk­tur für alle Men­schen, Grup­pen und Gesellschaften sind. Es erscheint offen­sichtlich, wie rel­e­vant die Kon­trolle dieser Funk­tio­nen sein kann, wie fatal jed­er Auss­chluss wäre. Das wird heute freilich bere­its weit­ge­hendst anerkan­nt.

Seit mehr als einem Jahrzehnt wird ein Men­schen­recht auf Zugang disku­tiert. Die Vere­in­ten Natio­nen vertreten die Posi­tion, dass es Regelun­gen für diese „glob­ale Ressource“ bedarf, die

das Recht eines jeden Men­schen auf selb­st­bes­timmten Zugang zu Infor­ma­tion eben­so wie auf selb­ster­mächtigte Nutzung von Infor­ma­tion und Kom­mu­nika­tion­stech­nolo­gien unab­d­ing­bar unter­stützen“. ((Unit­ed Nations 2012))

Auf­gabe: Disku­tiere für jede der vier Dimen­sio­nen das Poten­zial, wie und wozu Men­schen diese jew­eili­gen Funk­tio­nen des Inter­nets nutzen kön­nen.

Erörtere, was der Auss­chluss von der einen oder anderen Funk­tion für Men­schen bedeuten würde und mit welchem Recht so ein Auss­chluss begründ­bar wäre.

 

Das glob­ale Trans­portmedi­um nicht nutzen zu kön­nen, bedeutete mehr als dig­i­tale Dat­en nicht senden und emp­fan­gen zu kön­nen. An kaum einem Beispiel wird das so offen­bar, wie wenn wir an Geld­flüsse denken. Geld, das heute in aller Regel mit­tels virtueller Kon­to­stand­sän­derun­gen zirkuliert, wird in diesem Sinne per Daten­paket und via Inter­net trans­portiert.

Hier ist die in Nullen und Ein­sern codierte Infor­ma­tion das Beze­ich­nete selb­st, und so wer­den nicht nur Daten­pakete von dem Trans­portmedi­um über­tra­gen, son­dern Infor­ma­tion, Kul­turgüter, dig­i­tale Iden­titäten, Kap­i­tal und Befehle an Maschi­nen und Com­put­er.

Bei der Suche nach illus­tra­tiv­en Bildern gefun­den:
eine Darstel­lung des “Inter­net of Things” in aufeinan­der auf­bauen­den Plat­tfor­men mit der Stadt als ober­ster Plat­tform-Ebene.

Die Kon­trolle über diese glob­ale Funk­tion bedeutet, solche Oper­a­tio­nen regeln, stop­pen, manip­ulieren zu kön­nen; etwa den Vor­rang gewiss­er Dat­en vor anderen durchzuset­zen, was das Ende der Net­zneu­tral­ität mit sich brächte, oder die Kon­trolle der Dinge im Inter­net of Things (IoT) in der Hand zu haben, in die kyber­netis­che Kom­mu­nika­tion und Steuerung zwis­chen per Inter­net ver­bun­de­nen Maschi­nen ein­greifen zu kön­nen, um einen soge­nan­nten Cyber­war führen zu kön­nen.

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Heutzu­tage schon banal – auch wenig kom­plex – und selb­stver­ständlich nicht men­schliche Kom­mu­nika­tion: die Anzeige der Füll­stände von Bike-Sta­tio­nen in Echtzeit.

Eben­falls in Daten­paketen über­mit­telt wird das, was wir men­schliche Kom­mu­nika­tion nen­nen kön­nen. Die Bedeu­tung dieser Funk­tion ist kaum zu über­schätzen. Die Bedeu­tung des Inter­nets als Bedin­gung der Möglichkeit glob­aler men­schlich­er Kom­mu­nika­tion – ob Schrift, gesproch­ene Sprache oder Video, ob in Echtzeit oder als jed­erzeit aufruf­bare Gespräche unter vie­len Beteiligten – eben­so wenig. Daher leite an dieser Stelle über zur Dimen­sion des Spe­icher­medi­ums.

Wir begreifen heute immer mehr, dass unsere Kom­mu­nika­tion nicht mehr so flüchtig und pri­vat ist, wie wir das vom Gespräch auch dann gewohnt waren, wenn es in der rel­a­tiv­en Öffentlichkeit eines öffentlichen Raums stattge­fun­den hat. Dig­i­tale Rev­o­lu­tion und Inter­net haben men­schliche Kom­mu­nika­tion nicht allein räum­lichen und zeitlichen Beschränkun­gen enthoben, son­dern Kom­mu­nika­tion auf vie­len Ebe­nen spe­icherbar, abhör­bar, kopier­bar gemacht. Und gespe­ichert wird alles; Kom­mu­nika­tion, Dat­en von und über uns, Meta­dat­en, alles von Daten­schmutz bis zu sen­si­blen Dat­en.

Mit Blick auf die Funk­tion des Inter­nets als glob­ales Archiv rückt zudem die Bedeu­tung von Wis­sen in den Vorder­grund. Dabei geht es um freies und frei zugänglich­es Wis­sen. Es geht um Kon­trolle nicht nur über unsere Dat­en, son­dern auch über kollek­tive Iden­titäten, um hege­mo­ni­ale ver­sus ver­drängte Geschicht­en. Und es geht um die mas­sive Umstruk­turierung unser­er kul­turellen Gedächt­nisse, soweit diese nicht mehr allein in Arte­fak­ten und Baut­en, begren­zten Bildern und Schriften, Bib­lio­theken und Archiv­en, elitären Insti­tu­tio­nen und Pro­fes­sio­nen gespe­ichert sind, son­dern nun zusät­zlich in diesem neuen glob­alen kollek­tiv­en Gedächt­nis ver­han­delt wer­den.

Die Stadt und ihre Architektur als kulturelles Gedächtnis und als Medium. #nuffsaid
Die Stadt und ihre Architek­tur als kul­turelles Gedächt­nis und als Medi­um. #nuff­said

Es wäre wohl eine der inter­es­san­teren Auf­gaben, die gegen­wär­tig noch kaum ange­gan­gen ist, das the­o­retis­che Wis­sen um die Poli­tik kul­tureller Gedächt­nisse auf die verän­derte Wirk­lichkeit des Inter­nets anzuwen­den. ((Für die grundle­gen­den Fragestel­lun­gen dazu vgl. Ass­mann 1992.))

Auf­gabe: Samm­le und sys­tem­a­tisiere, welche Arten von Dat­en, was an Wis­sen es im Inter­net, im World Wide Web und auf den Social-Media-Plat­tfor­men gibt, was davon prob­lema­tisch und riskant ist, was uns allen wichtig ist und was als gesellschaftlich wertvoll erachtet wird.

Über­lege, über welche Wege Dat­en in die glob­alen Archive einge­tra­gen wer­den, wer Zugriff auf welche Archive hat und was du dir an frei zugänglichem Wis­sen wün­schen würdest. Welche Chan­cen und Risiken bieten die Transport‑, Kom­mu­nika­tions- und Spe­icher­funk­tio­nen den Sozialen Bewe­gun­gen?

 

Ressource, Infrastruktur und das Recht auf Stadt

Sel­ten wird die Stadt auf so drama­tis­che und spek­takuläre Weise zum Medi­um, wie es im Som­mer 1989 in Chi­na geschah. Der zen­trale “Platz des Himm­lis­chen Friedens” in Peking diente den rebel­lieren­den Stu­den­ten als Medi­um ihres poli­tisch-exis­ten­tiellen Anspruchs, dieselbe Ortssym­bo­l­ik nutze dann die chi­ne­sis­che Kom­mu­nis­tis­che Partei, als sie den Ruf nach Frei­heit mit Panz­ern über­rollte – vor allem wieder auf diesem Platz, an diesem priv­i­legierten Ort“. ((Schreiben­er 1990, 145))

So begin­nt ein Artikel aus dem Jahre 1990 mit dem Titel „Die Stadt als Medi­um“, der in weit­er­er Folge daran erin­nert, dass die Stadt „ein Medi­um ihrer bürg­er­lichen Belange, vor allem ihrer Unab­hängigkeit und Aufgeweck­heit [war], lange bevor es die Medi­en gab“. ((ebd., 154))

Inter­pretieren wir unsere Megac­i­ty „Inter­net“ als Medi­um, was für eine Stadt unüblich erscheinen mag, aber hin und wieder wie im ange­führten Artikel getan wird:
Wir wer­den uns das Medi­ale, das Ver­mit­tel­nde der Stadt im Kon­text ihrer Architek­tur vorstellen, dabei die Trans­portwege, Spe­icherorte, Kom­mu­nika­tion­skanäle nicht aus den Augen ver­lieren.

Wir wer­den die Kom­plex­ität der Struk­tur und vielle­icht auch die Poten­zial­ität der Megac­i­ty mitbe­denken, kaum Gefahr laufend, sie als Medi­um mit ein­er black box oder gar mit ein­fach­er Materie gle­ichzuset­zen.

Die Stadt als Symbolsystem, als Bühne des Politischen, als Architektur, um deren Bedeutung gestritten wird.
Die Stadt als Sym­bol­sys­tem, als Bühne des Poli­tis­chen, als Architek­tur, um deren Bedeu­tung gestrit­ten wird.

Und wir wer­den die Stadt als ständig im Wan­del begrif­f­enes Medi­um begreifen, so wie auch Inter­net, Web und Social Media. Wir wür­den von selb­st bei dem Aspekt ange­lan­gen, dass diese Medi­en Ressourcen und Infra­struk­tur darstellen, laufend Neues zu bauen und an der beste­hen­den Architek­tur etwas zu verän­dern.

Selb­stver­ständlich hat Face­book nicht die Ara­bel­lion bed­ingt, genau­so wenig wie der Tian’an­men die Demokratiebe­we­gung von 1989 aus­gelöst hat. Die zen­tralen Plätze wie der Tahrir, der Syn­tag­ma oder die Puer­ta del Sol ein­er­seits, eben­so wie die rel­e­van­testen Net­zw­erke, Foren und dis­si­den­ten Bilder auf Face­book ander­er­seits waren den sozialen Bewe­gun­gen Medi­en der Kom­mu­nika­tion, der Organ­i­sa­tion, der Protes­tent­fal­tung, der Wider­ständigkeit.

Und so wie die zen­tralen Plätze nur die sicht­barsten Bren­npunk­te sind, während die ganze Stadt Medi­um ist, gilt das vielmehr noch für “das Inter­net”, das Web und die Social Media als nur für die Plat­tform facebook.com.
(Hier wieder, während der Tian’an­men-Platz inklu­sive sein­er Bedeu­tung und Funk­tion für Proteste gut vorstell­bar ist, ohne dass wir dazu jemals in Peking gewe­sen sein müssen, stellt sich mit der Erwäh­nung von face­book ein weit­eres Mal diese Form der Frage, was ist face­book eigentlich wirk­lich?)

Auf­gabe: Welche Bedin­gun­gen stellen Städte, und welche Bedin­gun­gen stellt das Inter­net für soziale Bewe­gun­gen? Vor welche Auf­gaben sehen sich Protestierende und Proteste Organ­isierende gestellt? Arbeite sowohl für alte soziale Bewe­gun­gen vor hun­dert Jahren her­aus, welche Rolle Städte als Medi­en spiel­ten, als auch für neue, welche Rolle das Inter­net für die gegen­wär­ti­gen Bewe­gun­gen spielt.

Über­lege auch, wie die sozialen Bewe­gun­gen die Stadt der Mod­erne verän­dert haben, und stell die Frage, ob neue soziale Bewe­gun­gen heute das Inter­net verän­dern.

 

Die Dimen­sion, dass das Inter­net Ressource und Infra­struk­tur ist, also Baustoff und Unter­bau, kommt neben den Funk­tio­nen als Transport‑, Spe­ich­er- und Kom­mu­nika­tion­s­medi­um in Betra­ch­tun­gen und Diskus­sio­nen zu kurz. World Wide Web und E‑Mail bauen auf der Infra­struk­tur Inter­net auf, bei­des brauchen wir wiederum für Social-Media-Plat­tfor­men wie Face­book, Youtube und Twit­ter, über die wir soziale Net­zw­erke bilden, mit denen schließlich etwas organ­isiert, getan, umge­set­zt wird.

Wir Men­schen bauen mit diesen Ressourcen und Infra­struk­turen neue Dien­ste, Plat­tfor­men und Organ­i­sa­tio­nen, die, wenn das Inter­net als Bedin­gung dieser Möglichkeit­en weg­fiele, sich auch wieder auflösen wür­den. Wikipedia oder die Social-Media-Net­zw­erke, die rund um die uni­bren­nt-Bewe­gung von Studieren­den im deutschsprachi­gen Raum 2009 ent­standen sind, oder Ini­tia­tiv­en wie „europe ver­sus face­book“, sind hier nur wenige von unzäh­li­gen Beispie­len. Das let­ztere Beispiel fällt in eine beson­dere Kat­e­gorie.

Piraten in der Stadt: die Netzbewegung und die Piratenpartei, gesellschaftliche Organisationen, denen das Internet als Bedingung ihrer Existenz vorausgesetzt ist.
Pirat­en in der Stadt: die Net­zbe­we­gung und die Piraten­partei, gesellschaftliche Organ­i­sa­tio­nen, denen das Inter­net als Bedin­gung ihrer Exis­tenz voraus­ge­set­zt ist.

Ana­log zu den Kämpfen um das Recht auf Stadt, geht es hier um das Recht auf Inter­net. So wie die Forderung mit Bezug auf die Stadt nicht allein darauf abzielt, in der Stadt leben kön­nen zu müssen, kann das Recht auf Inter­net nicht bei der Forderung auf Zugang beschränkt sein. Es geht um Mitbes­tim­mung der Regeln, die hier wie da gel­ten sollen, um Teil­habe an den Pro­duk­tion­s­mit­teln und demokratis­che Ausver­hand­lung der Pro­duk­tions­be­din­gun­gen.

Das Inter­net ist ana­log zur Stadt für viele der sozialen Bewe­gun­gen: ein Medi­um. Für manche Bewe­gun­gen ist es zudem ein oder das The­ma. Für die Netzaktivist_innen das zen­trale Anliegen.

Zwischen Modifikation, Transformation und Revolution

Hat sich durch das Inter­net alles geän­dert, oder bleibt eigentlich im Kern doch alles das Gle­iche?

Die Frage dominiert seit Jahren in unzäh­li­gen Facetten. Sie ste­ht oft am Beginn von Podi­ums­diskus­sio­nen, wird in Work­shops abge­wogen, beschäftigt das Feuil­leton.

Sind die occu­py-Proteste im Kern etwas Neues oder das Alt­bekan­nte nur mit neuen Medi­en?

Hat Youtube die Tak­sim-Platz-Proteste explodieren lassen?

Bleibt Ler­nen Ler­nen? Bleibt Lit­er­atur Lit­er­atur, bleiben Parteien Parteien und Lager Lager?

Oder sind Ler­nen, Lit­er­atur, Parteien und poli­tis­che Ein­stel­lun­gen tief­greifend­en Trans­for­ma­tio­nen unter­wor­fen?

Die Fragestel­lung trägt, wenn der­art all­ge­mein for­muliert und in ein dichotomes Korsett gezwängt, mehr zur Ver­dun­klung als zur Erhel­lung bei. Trotz­dem dominiert sie viele Debat­ten. Sie lähmt nicht nur die Debat­ten. Sie ste­ht dem Ver­ständ­nis der Phänomene im Weg.

Bis hier­her wurde das Inter­net als kom­plexe, mul­ti­funk­tionale Megac­i­ty beschrieben, die sich selb­st ständig ändert und ihrer­seits Wan­del evoziert.
Wie kön­nen in diesem flu­iden Zusam­men­spiel kom­plex­er Gemen­ge­la­gen Verän­derung oder Sta­bil­ität abge­gren­zt und bemessen wer­den? Wie lässt sich über die Rich­tung von Ein­flussnah­men sprechen?

Dazu möchte ich noch ein­mal ein Raster struk­tureller Dif­feren­zierun­gen vorschla­gen.

Wir kön­nen im Angesicht von Verän­derungs­druck auf Organ­i­sa­tio­nen zwis­chen Mod­i­fika­tion und struk­turellem Wan­del unter­schei­den. Neben diesen bei­den Kat­e­gorien ist als Möglichkeit freilich offen zu hal­ten, dass Organ­i­sa­tio­nen vol­lkom­men unverän­dert bleiben; vielle­icht weil sie keinem Verän­derungs­druck aus­ge­set­zt sind. Und schließlich ist die Emer­genz vol­lkom­men neuer Organ­i­sa­tions­for­men als Möglichkeit zu bedenken; also von neuar­ti­gen sozialen Gebilden, die sich nicht ein­fach als Entwick­lung aus Vorgänger­sta­di­en ableit­en lassen. Mit Organ­i­sa­tio­nen bzw. sozialen Gebilden seien hier For­men der Verge­sellschaf­tung gemeint, also gesellschaftliche Gebilde von der kle­in­sten Ein­heit der Gruppe (z.B. Kle­in­fam­i­lie) bis hin zu Funk­tion­ssys­te­men (z.B. Wirtschaft) und sozialen Insti­tu­tio­nen (z.B. Krieg).

Es ist vorstell­bar, dass Men­schen, Grup­pen, Organ­i­sa­tio­nen im Zeital­ter der dig­i­tal­en Rev­o­lu­tion durch die Real­ität des Inter­nets unbee­in­flusst bleiben. Ein gedachter Koef­fizient für Wan­del läge bei Null.

Am anderen Ende der Skala disku­tieren wir, ob sich das Ganze unser­er Gesellschaft, und die ist in der glob­al­isierten Gegen­wart bere­its als Welt­ge­sellschaft zu beze­ich­nen, radikal ändert. Der Koef­fizient läge bei hun­dert. Möglicher­weise wird alles vom Kopf auf die Füße gestellt, die Umkehrung der Ver­hält­nisse, das, wofür das Wort Rev­o­lu­tion ste­ht.
Allerd­ings, eine Skala von null bis hun­dert für alles vom einzel­nen Indi­vidu­um zur Welt­ge­sellschaft ist zur Sys­tem­a­tisierung so unhan­dlich wie die ein­gangs ange­sproch­ene dichotome Frage.

Daher der Vorschlag der Kat­e­gorien, mit denen in der poli­tis­chen Bil­dung gear­beit­et wer­den kann:

  • Keine Verän­derung: [.. soziales Gebilde ein­set­zen ..] bleibt unverän­dert.
  • Die Anpas­sung der Form [.. ..] bleibt auf ein­fache Mod­i­fika­tion beschränkt.
  • Die Form der [.. ..] ist struk­turellem Wan­del unter­wor­fen.
  • Emer­genz: [.. ..] kann nur als neuar­tige Form sozialer Organ­i­sa­tion ver­standen wer­den.

Auf­gabe: Ordne ent­lang des Rasters Organ­i­sa­tions­for­men, in die du einge­bun­den bist, wie Fam­i­lie, Fre­un­deskreis, Vere­in, Unternehmen, Kirche usw.

Ver­suche Beispiele für Organ­i­sa­tio­nen zu find­en, die es nur Dank Inter­net gibt und die in der Form vorher nicht existieren hät­ten kön­nen. Suche Gegen­beispiele gesellschaftlich­er Organ­i­sa­tions­for­men, die seit der Emer­genz des Inter­net ver­schwun­den sind oder abse­hbar vol­lkom­men ver­schwinden wer­den. Wahrschein­lich wird für jedes Feld der Matrix möglich sein, Beispiele zu benen­nen.

Unter­suche exem­plar­isch auch noch die Schulk­lasse, die Organ­i­sa­tion der Part­ner­schaftssuche, Dor­fge­mein­schaften, das Gesund­heits- oder Ver­lagswe­sen, die Anhänger­schaft ein­er beliebi­gen Musik­band, Kirche, Poli­tik­erIn oder ein­er sozialen Agen­da, die von so vie­len Men­schen aktiv und kollek­tiv ver­fol­gt wird, dass von ein­er sozialen Bewe­gung gesprochen wird.

 

Die Organisation von Informationskanälen

Die Stadt als Labor der Beschle­u­ni­gung und als Erleb­nis­raum der mod­er­nen Massenkul­tur bedi­ent sich des Medi­ums Tage­spresse. Dieses Medi­um über­mit­telt den Charak­ter und das Geschehen der Stadt, für die es gemacht wird. Ander­er­seits ist die Stadt auch das Medi­um ihrer Tage­spresse,“

schreibt Matthias Schreiben­er im zitierten Auf­satz „Die Stadt als Medi­um“. ((Schreiben­er 1990, 148))

Das Medi­um Fernse­hen dage­gen, „das schnell, müh­e­los und gle­ich­för­mig Städter wie Land­be­wohn­er erre­icht“, ohne dem aktuellen Geschehen vor Ort Vor­rang einzuräu­men, „niv­el­liert den Unter­schied von Stadt und Land“. ((ebd., 161))

Wenn die regionale Stadtzeitung das Medi­um des urba­nen Zen­trums ist und Fernse­hen jenes des bre­it­en (nationalen) Raums zwis­chen Zen­trum und Periph­erie, was sind Inter­net, Web und Social Media dann? Nun, zuallererst sind sie keine pro­fes­sionell erstell­ten und organ­isierten Infor­ma­tion­ssender, die uns zum Emp­fang ange­boten wer­den, wie im Fall der klas­sis­chen Massen­me­di­en.

Wandzeitung in Guangzhou
Wandzeitung in Guangzhou

Um die Social Media zu ver­ste­hen, müssen wir zunächst die Organ­i­sa­tions­form herkömm­lich­er Medi­en in Erin­nerung rufen. Im Zusam­men­spiel vier­er Schlüs­sel­po­si­tio­nen wird fest­gelegt, wie eine Zeitung, Zeitschrift, ein Radio- oder Fernsehsender bespielt wird, das heißt: welche Infor­ma­tio­nen mit welch­er Tonal­ität über diese Kanäle an Leser‑, Hör­er- und SeherIn­nen herange­tra­gen wer­den.

Das Man­age­ment dieser Pro­duk­te heißt bei den klas­sis­chen Massen­me­di­en Redak­tion, die Eigen­tümer manch­mal auch Her­aus­ge­ber und die Arbeiter_innen Jour­nal­is­ten. Unter die weit­eren Pressearbeiter_innen fall­en ua. die Pressesprecher_innen, Referent_innen oder Öffentlichkeitsarbeiter_innen, die Inhalte in den Massen­me­di­en unterzubrin­gen ver­suchen.

Die Produzent_innen in diesem hier­ar­chis­chen Sys­tem sind aus­ge­bildete Professionist_innen, die für diese Arbeit ent­lohnt wer­den. Sie sind ökonomisch von den Regeln des Sys­tems abhängig und arbeit­en nach den Regeln des Sys­tems.

Die weit­ere Schlüs­sel­po­si­tion in der Organ­i­sa­tions­form klas­sis­ch­er Massen­me­di­en beset­zen die Kund_innen, die die Pro­duk­tion und den Prof­it der Eigen­tümer bezahlen. In der Regel sind das die großen Wirtschaft­szweige, die Wer­bung schal­ten. In gerin­gerem Maße spie­len vielle­icht auch Leser‑, Hör­er- und Seher_innen ein Rolle, soweit sie die Massen­me­di­en mit­fi­nanzieren kön­nen oder als imag­iniert­er Markt für die Platzierung von Wer­be­bud­gets berech­net wer­den.

Auf­gabe: Bilde vier oder fünf Grup­pen, je eine für Eigen­tümer, Man­age­ment (Redakteur_innen), Journalist_innen sowie Pressearbeit_innen und option­al die Vertreter_innen kap­i­tal­stark­er Wirtschaft­szweige. Lass pro Gruppe her­ausar­beit­en, in welchen Abhängigkeit­en sie agieren, was ihre Ziele und Beurteilungskri­te­rien für Erfolg sind. Disku­tiere dann, wie die ver­schiede­nen Schlüs­sel­po­si­tio­nen im Zusam­men­spiel Ein­fluss auf die Auswahl, Pro­duk­tion und Fär­bung von Infor­ma­tio­nen auswirken wer­den.

 

Von diesen hier skizzierten Bedin­gun­gen dafür, wo welche Infor­ma­tion in welchem Rah­men eines massen­medi­alen Kanals emp­fang­bar ist, unter­schei­det sich der Organ­i­sa­tion­s­modus der Social Media von Grund auf. Oder bess­er: der Dis­tri­b­u­tion­s­modus von Infor­ma­tion über Social-Media-Plat­tfor­men.

Was einzelne lesen, hören, sehen, ist in den Social Media nicht der Auswahl von weni­gen pro­fes­sionellen Sendern und Print­pro­duk­ten geschuldet. Das wird von der je eige­nen Posi­tion im Geflecht sozialer Net­zw­erke bes­timmt.

But, how social a medium is facebook?

Der Begriff der sozialen Net­zw­erke ist es, von dem die Social Media in Abgren­zung zu klas­sis­chen Mass Media den ersten Begriff­steil übernehmen. Soziale Net­zw­erke wer­den durch Beziehun­gen zwis­chen Men­schen oder Grup­pen von Men­schen kon­sti­tu­iert.

Der Begriff­steil “sozial” bringt keine Wer­tung zum Aus­druck. Er ist in der Diszi­plin der Net­zw­erk­analyse geschuldet und beze­ich­net lediglich, welch­er Art ein Net­zw­erk ist. Die Diszi­plin der Net­zw­erk­analyse unter­sucht schließlich nicht allein Net­zw­erke zwis­chen gesellschaftlichen Akteur_innen, son­dern all­ge­mein die Syn­tax zwis­chen ver­bun­de­nen Ele­menten.

Face­book und Twit­ter sind genau genom­men nicht Social Media. Und sie sind keine sozialen Net­zw­erke son­dern Unternehmen und Plat­tfor­men, ver­mit­tels der­er wir beste­hende Beziehun­gen zwis­chen Men­schen und Men­schen­grup­pen nach­bauen, erweit­ern und darüber hin­aus zusät­zliche neue Beziehun­gen mit anderen einge­hen. Es sind Plat­tfor­men, die tech­nis­che Hil­f­s­mit­tel zur dauer­haften Kon­struk­tion und zum Spe­ich­ern von Beziehungsnet­zw­erken bieten. Und klar, sie verän­dern beziehungsweise erweit­ern unsere Arten und Weisen, miteinan­der zu kom­mu­nizieren. Sie leg­en uns Tech­niken nahe, wie wir den Trans­port von Infor­ma­tio­nen automa­tisieren kön­nen.

Das “sozial” in Social Media bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass die Auswahl, Pro­duk­tion und Tonal­ität von Infor­ma­tio­nen über die sozialen Net­zw­erks­beziehun­gen organ­isiert wer­den; und nicht ent­lang der Logik der klas­sis­chen Medi­en.

Die Bewohner­In­nen der Megac­i­ty “Inter­net” sind in Sachen Infor­ma­tion­ssamm­lung, ‑auf­bere­itung und ‑weit­er­leitung grosso modo Amateur_innen, keine hier­für aus­ge­bilde­ten, bezahlten Professionist_innen. Sie sind Prosument_innen, die an den Gesprächen in den ver­schieden­sten Vierteln, auf Foren und bei Ver­anstal­tun­gen in der Stadt mehr oder weniger aktiv teil­haben.

Obwohl es in Net­zw­erken eben­falls Schlüs­sel­po­si­tio­nen gibt, haben diese nichts mit jenen der Organ­i­sa­tion klas­sis­ch­er Massen­me­di­en gemein. Welchen Mix an Infor­ma­tio­nen in welch­er Geschwindigkeit und mit welch­er Tonal­ität wir über Social-Media-Plat­tfor­men emp­fan­gen, hat mit der Auswahl und Steuerung unser­er Beziehun­gen zu tun.

Das Inter­net ist dabei wed­er das Medi­um der Urban­ität wie die Stadtzeitung noch das Medi­um für das Mit­tel­maß der nationalen Kul­turindus­trie wie das Fernse­hen, son­dern am ehesten das Medi­um der Repro­duk­tion unseres Milieus und der je eige­nen Inter­essen. Die Verdich­tung der Infor­ma­tio­nen passend zu den eige­nen Vor­lieben und Weltan­schau­un­gen wird seit weni­gen Jahren mit dem Begriff der Fil­ter Bub­ble beschrieben, einem Sozi­olekt der Net­zkul­tur, der ursprünglich die Auswirkung der Per­son­al­isierung von Infor­ma­tion­sange­boten durch Google-Dien­ste und Plat­tfor­men wie Face­book the­ma­tisieren sollte. ((Siehe dazu die Aufze­ich­nung des bekan­nten Vor­trags von Eli Paris­er (2011).)) Durch die per­son­al­isierte Anzeige uns passender Infor­ma­tio­nen wür­den Men­schen nur in ihren Welt­sicht­en bestärkt und keine neu­trale Über­sicht zu gesellschaftlichen The­men mehr bekom­men.

Der Sog zur Repro­duk­tion ein­er eigen­tüm­lichen kleinen Welt geht freilich von den ver­füg­baren klas­sis­chen Medi­en stärk­er aus als von der Megac­i­ty „Inter­net“. Die Repro­duk­tion des eige­nen Umfelds ist etwas, das soziale Net­zw­erke unab­hängig davon tun, ob sie auf ein Leben abseits der Megac­i­ty beschränkt sind, ob sie nur in einem begren­zten Stadt­teil verbleiben oder sich durch die Stadt span­nen. Die Wahrschein­lichkeit aktiv­er Prosument_innen ist bei klas­sis­chen Massen­me­di­en nahezu aus­geschlossen. Die Wahrschein­lichkeit, eigene Welt­bilder und Hor­i­zonte in Frage zu stellen, bei einem aktiv­en, ver­net­zten Leben in der Megac­i­ty ungle­ich höher.

Stellen wir die klas­sis­chen Massen­me­di­en den Social Media noch ein­mal gegenüber. Wo verorten wir erstere im Geflecht der Stadt? Das ist ein­fach und lässt sich prak­tisch visu­al­isieren, zum Beispiel am Stadt­plan von Wien oder ein­er beliebi­gen Lan­deshaupt­stadt. Die Pro­duk­tion­sstät­ten der Medi­en­häuser sind schnell markiert.

In Wien begän­nen wir mit dem ORF-Zen­trum am Küniglberg, dem Funkhaus in der Argen­tinier­straße und dem Sendestu­dio von Ö3 in Heili­gen­stadt. Dann wür­den wir die Häuser am Stadt­plan iden­ti­fizieren, in denen die Kro­nen­zeitung, der Kuri­er usw. pro­duziert wer­den. Wir zeich­nen alle Orte ein, wo Tageszeitun­gen und Zeitschriften gemacht wer­den. Markiert sind schließlich einige wenige Gebäude in ein­er großen Stadt.

Die Gebäude iden­ti­fizieren wir unter anderem als Arbeit­splätze, an denen Belegschaften das pro­duzieren, wofür sie bezahlt wer­den. Visu­al­isieren wir als näch­stes, wo über­all die in den Medi­en­häusern pro­duzierten Inhalte bei den Rezipient_innen ankom­men, ergibt sich schnell das Bild von weni­gen Bün­deln mit unzäh­li­gen Strahlen.

Die Bün­del der Kro­nen­zeitung und des Fernse­hens wer­den die dicht­esten sein, jene von Der­Stan­dard und DiePresse ein Vielfach­es aus­gedün­nter. Erstere wer­den wahrschein­lich über­all hin­re­ichen, während die Bün­del des Kul­tursenders Ö1 oder der Zeitschrift „Die ganze Woche“ in unter­schiedlichen Stadt­teilen mehr oder weniger Strahlen aufweisen wer­den. ((Eine lohnende wiewohl anspruchsvolle Auf­gabe wäre, mit Vilém Flusser den Bün­deln (Latein: fasces) der Infor­ma­tions­flüsse nachzuge­hen und die Form der Bün­delung ent­lang ver­schieden­er Medi­en zu ver­gle­ichen. „Die Medi­en bilden von den Zen­tren, den Sendern, aus­ges­trahlte Bün­del. […] Die Struk­tur der von tech­nis­chen Bildern beherrscht­en Gesellschaft ist dem­nach fascis­tisch, und zwar ist fascis­tisch nicht aus irgendwelchen ide­ol­o­gis­chen, son­dern aus ‘tech­nis­chen’ Grün­den“, ver­merkt Flusser (Flusser 1999, 68). Unter­suche, wie weit sich die mit dem Inter­net ver­bun­dene Hoff­nung auf plu­ral­is­tis­chere, demokratis­che Bün­del bewahrheit­et.)) Vor uns span­nt sich ein Dia­gramm von Sendern und Empfän­gerIn­nen auf, das für klas­sis­che Massen­me­di­en ste­ht.

Zeich­nen wir nun auf dem gle­ichen Stadt­plan die Verbindungslin­ien der Social Media ein, oder stellen wir uns diese Lin­ien bess­er nur vor, ergibt sich offen­sichtlich ein vol­lkom­men diame­tral anderes Bild.

Auf­gabe: Erforsche die Stadt auf der Suche nach sozialen Net­zw­erken, die für die Pro­duk­tion, Verteilung und Inter­pre­ta­tion von Infor­ma­tio­nen wichtig sind. Wie wer­den in und durch die Stadt Beziehungs­ge­flechte aufrechter­hal­ten, über die Infor­ma­tio­nen und Wis­sen aus­ge­tauscht oder gener­iert wer­den? Welche Dimen­sio­nen kom­men bei von Social-Media-Plat­tfor­men gestützten Net­zw­erken gegenüber jenen im Gewebe der Stadt hinzu, welche fall­en weg? Und was befördert da wie dort den Sog zur Fil­terblase?

 

Durch Wer­bung finanzierte Massen­me­di­en wer­den größ­ten­teils durch die Anzeigen der großen Wirtschaft­szweige finanziert. Wie wer­den das Inter­net, das Web, und wie wer­den in unser­er Megac­i­ty die riesi­gen Shop­ping-Malls, Vergnü­gungsparks und Kinocen­ter der Face­book Inc. finanziert?

Produktive Selbst-Beschäftigung und Überwachung

Die Nutzung von Face­book ste­ht heute allen offen und ist kosten­los. Konz­erne wie die Face­book Inc. finanzieren das mit­tler­weile zwar auch über Wer­beein­nah­men, vor allem über die vorgeschossene Erwartung­shal­tung der Anleger_innen.

Die Ware von Face­book und Co. sind die Dat­en der Nutzer_innen, die Benutzer­pro­file, also die Bewohner_innen unser­er Megac­i­ty, und nicht zulet­zt deren Beziehun­gen und Inter­ak­tio­nen. Die Bevölkerun­gen der Social Media Plat­tfor­men arbeit­en stetig an qual­i­ta­tiv besseren wie quan­ti­ta­tiv dichteren Daten­sätzen über sie selb­st und in Summe über die gesamte Pop­u­la­tion dieser Welt, ihr Ver­hal­ten, ihre Ein­stel­lun­gen, ihre Geschicht­en, ihre losen und ihre engeren Beziehun­gen.

Ein Daten­satz ist Geld wert. Die Infor­ma­tio­nen über Bewohner_innen wer­den in der Megac­i­ty gehan­delt, trans­portiert, aggregiert, selb­stver­ständlich gespe­ichert und zunehmend aus­genutzt, um uns etwas schmack­haft zu machen, um unseren poten­ziellen Wert als Kund_innen zu lukri­eren, unsere Bewe­gun­gen und Hand­lun­gen in sto­chastis­chen Mod­ellen hochzurech­nen. Die Dat­en, zunehmende Unmen­gen an Dat­en, und die Inter­essen an ihrer Nutzung liegen im Inter­net mehr als jemals in der Stadt der Mod­erne bei den Regieren­den.

Big Data ist der aktuell Kon­junk­tur erfahrende Begriff dieser Entwick­lun­gen, im Zuge der­er Herrschende die Hoff­nung entwick­eln, deviantes Ver­hal­ten und (ihnen) poten­ziell gefährliche Bewohner_innen ver­mit­tels Big-Data-Mod­el­lierun­gen aus­rech­nen zu kön­nen, bevor es über­haupt zu solchen Hand­lun­gen kommt.

Die massen­haft anfal­l­en­den Dat­en der Bewohner_innen der Megac­i­ty dienen nicht allein wirtschaftlichen Zweck­en, son­dern natür­lich der Überwachung und Kon­trolle der Bevölkerung, des Mobs. Wir find­en hier nichts anderes als eine weit­ere Par­al­lele vor, wie wir die Meta­pher der Großs­tadt pro­duk­tiv für unseren Blick auf Inter­net, Web und Social Media nutzen kön­nen.

Auf­gabe: Ver­gle­iche die Entwick­lun­gen der let­zten Jahrzehnte in Städten mit den Entwick­lun­gen des Inter­nets, Webs und der Social-Media-Plat­tfor­men. Wie äußern sich da wie dort: Kom­mod­i­fizierung, Ausverkauf und Ein­schränkung öffentlichen Raums, For­men der Kon­trolle und Überwachung, Ver­drän­gung lokaler Unternehmen durch glob­ale Konz­ern­struk­turen, wider­ständi­ge Ini­tia­tiv­en und Arbeitsweisen?

Disku­tiere die Frage zwei­gleisig, wie wir bei einem Leben in der Stadt und im World Wide Web selb­st­bes­timmt den Ver­lock­un­gen der Städte wider­ste­hen kön­nen und ob umgekehrt die Dystopie voll­ständi­ger Kon­trolle im Sinne Herrschen­der über­haupt real­is­tisch ist.

 

Der Beginn der dig­i­tal­en Rev­o­lu­tion, dann das Inter­net, bald darauf das Web und schließlich die Emer­genz der Social Media haben einen unab­se­hbar großen Raum poten­tieller Entwick­lun­gen unser­er Gesellschaften eröffnet. Zu den fak­tisch wie poten­ziell pos­i­tiv­en, emanzi­pa­torischen Auswirkun­gen gehören die fak­tisch wie poten­ziell neg­a­tiv­en, uns aus­liefer­n­den Fol­gen. Es sind das die zwei Seit­en der­sel­ben Medaille.

Sich vom Inter­net abzuwen­den ist als Reak­tion darauf so legit­im, wie das gute hun­dert Jahre früher die Land­flucht als Reak­tion auf die Großs­tadt der Mod­erne war. Den gesellschaftlichen Entwick­lun­gen, die durch diese neuen Phänomene evoziert wer­den, kann die Einzelne deswe­gen kaum ent­ge­hen; und unsere Gesellschaft jeden­falls gar nicht.

Stadt wie Inter­net sind kom­plexe Infra­struk­turen und Medi­en, in denen wir uns mehr oder weniger wider­ständig oder kon­formistisch, naiv oder gegenüber unseren Lebens­be­din­gun­gen ver­ständig bewe­gen, die Ressourcen und Infra­struk­turen pas­siv­er oder aktiv­er nutzend, die Wirkung der Medi­en so oder so mitbes­tim­mend.

Das tun wir auch als poli­tis­che Bildner_innen. Unsere Gegen­wart, unsere Beziehun­gen, unsere Hand­lun­gen, unsere Beteili­gun­gen und unsere Beispiele spie­len in diesem wie in jen­em Raum eine gewisse Rollen. Eine äußerst begren­zte, aber nichts­destotrotz nen­nenswerte.

Wir nutzen heute bere­its immer öfter Inter­net, Web und Social Media als Transport‑, Kom­mu­nika­tions- und Spe­icher­medi­um, und auch als Ressource und als Infra­struk­tur; selb­st da, wo wir das wenig reflek­tiert und eher beiläu­fig tun. Wir nutzen die Möglichkeit­en unser­er Zeit.

Das tun auch Soziale Bewe­gun­gen.

 

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Menschenrecht auf Internet?

Für eine Pub­lika­tion des öster­re­ichis­chen Co:Lab einen Gedanken­gang aus­ge­führt, der seit ger­aumer Zeit im Hin­terkopf herum­schwirrt und der bis­lang nur in vere­inzel­ten Gesprächen debat­tiert wurde. Das waren dann auch nicht allzu viel Gele­gen­heit­en, den Argu­men­ta­tion­sstrang über­prüfen zu lassen.

Es han­delt sich also um eine recht rohe, aus Zeit- und Energiegrün­den etwas schlu­drig aus­gear­beit­ete Skizze. Also bitte zerpflück­en. Und auf­sam­meln was brauch­bar ist.

 

Die These:

Update: Mit­tler­weile auch in Kappes/Krone/Novy (Hg): Medi­en­wan­del kom­pakt 2011–2013 erschienen.

Da “das Inter­net” keine ein­fache Ressource ist son­dern etwas eben­so kom­plex­es wie divers­es, umfassend gar nicht bes­timm­bares, das sich in unab­se­hbar­er Weise weit­er entwick­elt und auch in seinem Wesen trans­formiert wer­den kann, greifen Forderun­gen nach einem Men­schen­recht auf Zugang zu kurz. Das Inter­net wird in gesellschaftlichen Prozessen verän­dert und es trans­formiert umgekehrt unsere Gesellschaften.
Vor diesem Hin­ter­grund sollte von einem Recht auf Teil­habe am Inter­net aus­ge­gan­gen wer­den und das heißt, auf Teil­habe an den gesellschaftlichen Prozessen der Weit­er­en­twick­lung, Reg­ulierung und Ver­wal­tung des Inter­nets.

 

Rechte eines jeden Menschen _am_ Internet

Ein Plä­doy­er für die generelle Forderung auf gle­ich­berechtigte Mitbes­tim­mung bei der Regelung und Ver­wal­tung des Inter­net

Recht oder Privileg

Debat­ten zu Inter­net und zu Men­schen­recht­en gibt es seit ger­aumer Zeit. Die For­mulierung der gesellschaftlichen Forderung eines all­ge­meinen Rechts auf Zugang zum Inter­net ist beina­he so alt wie das Inter­net selb­st. Wirft men­sch die Such­maschi­nen an und begin­nt “inter­net”, “access” und “right” einzugeben, so wer­den Auto-Aus­füll­funk­tio­nen vielle­icht zusät­zlich “human right” oder “or priv­i­lege” vorschla­gen. Die Suchtr­e­f­fer führen jeden­falls dahin, dass diese Diskus­sion auf vie­len Ebe­nen geführt wird, dass die Vere­inigten Natio­nen offen­sichtlich der Ansicht sind, der Zugang zu Inter­net sei ein fun­da­men­tales Recht, und dass einzelne Staat­en ein entsprechende Recht bere­its kod­i­fiziert haben.

Die Frage, ob es angesichts des Inter­nets neuer Men­schen­rechte bedarf, ist also in der einen und anderen Form schon ein paar mal beant­wortet wor­den. Sie wurde 2003 am ersten “World Sum­mit on the Infor­ma­tion Soci­ety” disku­tiert und ist auch auf der Ebene der Vere­in­ten Natio­nen bis heute The­ma. Sie wird weit­er gestellt wer­den. Sie wird noch des öfteren in die eine oder andere Rich­tung beant­wortet wer­den.

Matthias Ket­te­mann hat in seinem Beitrag “Neue Men­schen­rechte für das Inter­net?” (Kapi­tel 2.1.) zu dieser Pub­lika­tion dargelegt, dass er aus juris­tis­ch­er Per­spek­tive die Notwendigkeit neuer Men­schen­rechte für das Inter­net nicht sieht. Vielmehr müsse um- und durchge­set­zt wer­den, dass “was offline gilt, auch online gel­ten muss”. Es gilt den errun­genen Men­schen­recht­en erster, zweit­er und drit­ter Gen­er­a­tion zur Durch­set­zung zu ver­helfen (siehe Kap. 1.1. Der Zusam­men­hang von Ethik und Recht und die Rolle der Men­schen­rechte von Christof Tschohl). ((Die Ver­weise zu anderen Beiträ­gen inner­halb der Co:Lab AT Pub­lika­tion  um solche han­delt es sich hier und weit­er unten noch ein paar Mal  ­ver­linke ich ex post, sobald alles online gegan­gen ist.))

So stim­mig diese Sicht und so wichtig dieser Zugang ist, so komme ich angesichts der grundle­gen­den Fragestel­lung doch zu einem anderen Schluss: Die For­mulierung und Etablierung von uni­ver­salen Recht­en eines jeden Men­schen in Bezug auf das Inter­net wären ein immenser gesellschaftlich­er Fortschritt. Es wäre zu hof­fen, und das dur­chaus im Sinne der Parolen der franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion und aus der Per­spek­tive der Men­schen­rechte, dass die poli­tis­chen, ökonomis­chen, kul­turellen und also gesamt­ge­sellschaftlichen Kämpfe zur Durch­set­zung dieser Rechte irgend­wann erfol­gre­ich sind.

Welche Rechte jed­er Einzel­nen am Inter­net alleine vor dem Hin­ter­grund Men­schen­würde abgesichert sein soll­ten, und warum es sich lohnen würde, für die Rechte aller am Inter­net zu kämpfen, soll im Fol­gen­den entwick­elt wer­den.

Begründungen des Rechtsanspruchs

Das Recht auf Zugang soll absich­ern helfen, dass nie­mand gegen den eige­nen Willen vom Inter­net aus­geschlossen wer­den kann. Dass ein erzwun­gener Auss­chluss vom Inter­net eine emi­nente Benachteili­gung darstellt, ist im zweit­en Jahrzehnt des ein­undzwanzig­sten Jahrhun­derts nicht mehr bestre­it­bar. Frühe Forderun­gen aus den 1990er Jahren zeigen, dass diese Entwick­lung lange abse­hbar war und früh gese­hen wurde. Die dom­i­nante Argu­men­ta­tion­slin­ie für das Recht auf Inter­net­zu­gang, damals wie heute, stellt den unge­hin­derten Zugang zu Infor­ma­tion (Infor­ma­tions­frei­heit) und das Recht auf freie Mei­n­ungsäußerung sowie deren Bedeu­tung für lib­erale demokratis­che Gesellschaften in den Vorder­grund: das Inter­net als Infor­ma­tions- und Pub­lika­tion­sraum, der für Teil­habe an gesellschaftlichen Debat­ten und an poli­tis­chen Mei­n­ungs­bil­dung­sprozessen grundle­gend gewor­den ist.

Fol­gen wir der Argu­men­ta­tion von Matthias Ket­te­manns Beitrag in diesem Band, müsste tat­säch­lich von den beste­hen­den Men­schen­recht­en der Infor­ma­tions­frei­heit und dem Recht auf freie Mei­n­ungsäußerung ableit­bar sein, dass nie­man­dem der Zugang zum Inter­net prinzip­iell ver­wehrt wer­den darf, weil das diese uni­ver­salen Rechte ver­let­zen würde. Inter­netsper­ren wider­sprechen dem­nach eigentlich fun­da­men­tal­en Men­schen­recht­en (siehe Kap. 2.2. Inter­netsper­ren und Men­schen­rechte von J. Messer­schmidt).

Der Fokus auf Infor­ma­tions- und Mei­n­ungs­frei­heit lässt in den Hin­ter­grund treten, dass es “das Inter­net” auch für eine Rei­he ander­er Men­schen­rechte braucht. Es ste­ht heute im Rang grundle­gen­der Infra­struk­tur, ähn­lich dem Post- und Verkehr­swe­sen oder der Strom- und Gasver­sorgung. Wer keinen Zugang hat und wer keine E‑Mail-Adresse nutzen kann, ist in unser­er Gesellschaft schlechter gestellt als andere und diese Benachteili­gung geht soweit, dass unfrei­willige Inter­net­ferne als ein Indika­tor für Seg­re­ga­tion gel­ten kann. Über keine E‑Mail-Adresse ver­fü­gen zu kön­nen ste­ht in ein­er Rei­he mit kein Bankkon­to haben und keine Tele­fon­num­mer angeben kön­nen für gesellschaftlichen Auss­chluss.

Das Inter­net” in sein­er gegen­wär­ti­gen Form ist essen­tiell für das Recht auf Bil­dung, das Recht auf Arbeit, das Recht auf Teil­habe am kul­turellen Leben, das Recht auf Selb­st­bes­tim­mung der Völk­er, das Recht auf Entwick­lung, um nur die offen­sichtlichen Men­schen­rechte zu nen­nen, die ohne Zugang zum Inter­net für viele nicht (mehr) sich­er gestellt sind. Freilich stellt das Inter­net in sein­er gegen­wär­ti­gen Form auch eine Bedro­hung für fun­da­men­tale Rechte dar, vor­rangig für Per­sön­lichkeit­srechte, das Recht auf Frei­heit vor willkür­lichen Ein­grif­f­en in die Pri­vat­sphäre (siehe Kap. 2.4. Wir haben ein Recht auf Anonymität von M. Bauer, Kap. 2.5. Inter­net-Men­schen­rechte in der arbeit­srechtlichen Kampf­zone von T. Kreiml sowie Kap. 2.6. Par­a­dig­men­wech­sel “Vor­rats­daten­spe­icherung” im europäis­chen Daten­schutzrecht von Chr. Tschohl und Kap. 2.7. Die Reform des EU Daten­schutzrechts von A. Krisch).

Des Internets Metamorphosen

Das Inter­net” ändert sich. Es ist schwierig zu sagen, was das Inter­net auch nur gegen­wär­tig ist, geschweige denn, wie es in drei, in fünf oder erst recht in zwanzig Jahren ausse­hen und in sein­er ganzen Kom­plex­ität funk­tion­ieren wird. Zur Zeit der frühen Forderun­gen nach einem Men­schen­recht auf Inter­net­zu­gang kon­nte möglicher­weise etwas wie ein Bre­it­ban­dan­schluss oder ein Inter­net of Things (IoT) antizip­iert wer­den, aber unmöglich die gesellschaftliche Bedeu­tung von Google oder Face­book (siehe dazu auch Kap. 3.2. Ist Face­book ein neuer öffentlich­er Raum? von M. Ket­te­mann), die Entwick­lun­gen eines SEO-Gewerbes, der Branche der Social Media Man­ag­er oder der “Data Deal­er”, die Emer­genz neuer gesellschaftlich­er Modi der Selb­stor­gan­i­sa­tion wie im Fall von Anony­mous, beim Gut­ten­Plag oder – früher – ein­er Wikipedia.

Das wozu wir Zugang haben und wofür wir für alle Men­schen gle­icher­maßen ein all­ge­meines Zugangsrecht sich­ern wollen, weil es für die Frei­heit­en der Einzel­nen und für die demokratis­che Ver­fas­sung aller so ele­men­tar ist, das bleibt über die Zeit hin­weg nicht stetig iden­tisch. Mit diesem Gedanken schiebt sich ein unan­genehmer Ver­dacht ins Blick­feld. Was wenn “das Inter­net” irgend­wann nicht mehr dieses “das Inter­net” ist, dem wir diese Bedeu­tung zumessen. In den let­zten Jahren häufen sich die War­nun­gen vor einem dro­hen­den “Ende des freien Inter­nets” (Zur Ver­i­fizierung ein­fach die Phrase in eine Such­mas­chine eingeben).

Heute tun wir uns ger­ade noch schw­er, uns einen per­so­n­en­spez­i­fis­chen vol­lkom­men Auss­chluss vom Inter­net vorzustellen, ob durch staatliche Gewalt oder die Willkür eines Unternehmens durchge­set­zt (“Ich kann immer noch bei jeman­den anderen und mit anderen Geräten sur­fen”). Dabei kön­nte das immer konzen­tri­ert­ere Vorge­hen gegen Anonymität irgend­wann darin enden, dass der Inter­net­zu­gang ohne bio­metrische Iden­ti­fizierung nicht mehr möglich oder erlaubt ist. Dieses eine Beispiel soll lediglich zeigen, “das Inter­net” über­fordert unsere Vorstel­lung, nicht zulet­zt weil es in der Men­schheits­geschichte immer noch rel­a­tiv neu ist.

Das, was es ist, entwick­elt sich laufend weit­er, eben­so was es alles bedeutet, was es alles evoziert und so weit­er. Wir wis­sen nicht, was “das Inter­net” in einiger Zeit von jet­zt sein wird.

Es wäre töricht, für die ange­sproch­enen laufend­en Verän­derun­gen dessen, was das Inter­net ist, automa­tisch das Bild von Fortschritt im Sinne pos­i­tiv­er Weit­er­en­twick­lung anzunehmen. “Das Inter­net” ist im Großen und Ganzen eben­so wie in vie­len Teil­bere­ichen Objekt kom­plex­er gesellschaftlich­er Kämpfe und das gle­ichzeit­ig auf glob­aler, transna­tionalen, auf regionalen und nationalen Ebe­nen.

Wenn “das Inter­net” sich aber laufend ändert, stellt sich die Frage nach der Trag­weite ein­er Forderung, die sich auf den Aspekt des Zugangs beschränkt. Mitte der 1990er hat­te men­sch mit einem Inter­net­zu­gang zu einem anderen Inter­net Zugang als 2005. Der Begriff “Web 2.0” benen­nt genau diesen Punkt direkt, die Emer­genz von etwas Neuem mit neuen Sys­tem­logiken, das nicht mehr so funk­tion­iert und zu ver­ste­hen ist wie “vorher”.
Bald ein Jahrzehnt später unter­liegt das Inter­net weit­er ras­an­ten Entwick­lun­gen. Und es hat ras­ante Entwick­lun­gen wie den so genan­nten “ara­bis­chen Früh­ling” und den tief­greifend­en Struk­tur­wan­del des massen­medi­alen Sys­tems befördert.

Sim­pel zusam­menge­fasst: Gesellschaft ändert Inter­net, Inter­net ändert Gesellschaft.
(Wie wäre der Tur­bo­fi­nanzkap­i­tal­is­mus ohne Inter­net und Glas­faserk­a­bel denkbar? Wie das Inter­net in gegen­wär­tiger Form ohne die erste Gen­er­a­tion der Freie Soft­ware — Bewe­gung?)

Asymmetrien verstärkend oder entschärfend?

Heute wird allen­thal­ben vom Recht auf Zugang zu Face­book, Twit­ter oder Youtube gesprochen. Der Auss­chluss von ein­er dieser Plat­tfor­men entspricht mit­tler­weile in eini­gen Fällen dem, was das Recht auf Inter­net­zu­gang sich­ern sollte: Auss­chluss von Infor­ma­tions- und Mei­n­ungs­frei­heit. In diesen Fällen genügte es nicht, den all­ge­meinen Zugang zum Inter­net als Men­schen­recht abzu­sich­ern. Umgekehrt bliebe auch nicht viel von der Inten­tion über, wenn Zugang irgend­wann zu etwas führt, was jede und jeden einzel­nen – ähn­lich dem Zugang zu Radio und Fernse­hen – auf wenige, von anderen willkür­lich vorgegebene Nutzung­möglichkeit­en beschränkt.

Die For­mulierung des Recht­sanspruchs, des Rechts auf Inter­net beziehungsweise am Inter­net, muss struk­turellen Wan­del mit­denken. Sie sollte dem Anspruch auf Mit­sprache bei der Gestal­tung, Regelung und Ver­wal­tung des Inter­nets gerecht wer­den. Und hier find­et sich die Unter­schei­dung zu der von Matthias Ket­te­mann for­mulierten Posi­tion. Es genügt nicht, nur den gülti­gen Men­schen­recht­en im Inter­net zur Gel­tung zu ver­helfen, um das Teil­haberecht an den öffentlichen Diskursen und poli­tis­ch­er Mei­n­ungs­bil­dung zu sich­ern. Es bedarf der anerkan­nten und durch­set­zbaren Teil­haberechte am Inter­net selb­st. Nur auf dieser Basis kann, würde ich argu­men­tieren, auf Dauer das Recht jed­er und jedes Einzel­nen auf Gle­ich­berech­ti­gung unab­hängig von Merk­malen wie eth­nis­ch­er, sozialer oder religiös­er Zuge­hörigkeit, sex­ueller Ori­en­tierung oder Behin­derung und unab­hängig von Wohl­stand, Sta­tus oder Weltan­schau­ung gesichert wer­den.

Nur durch Rechte nicht allein auf son­dern am Inter­net, wird Schutz vor staatlich­er wie auch pri­vatwirtschaftlich­er Willkür, die Abwehr von von Ein­grif­f­en in den geschützten Frei­heits­bere­ich der Einzel­nen abgesichert.

Das Inter­net, und hier braucht es wieder den Zusatz “in sein­er gegen­wär­ti­gen Form”, ver­größert den Hand­lungsspiel­raum sowohl der gesellschaftlichen Starken und Mächti­gen als auch der sozial Benachteiligten und Schwachen. Den Herrschen­den bieten sich ungeah­nte Möglichkeit­en der Überwachung, Kon­trolle und Diszi­plin­ierung durch das tief in die Pri­vat­sphären hinein operierende Inter­net. Den Unter­drück­ten und Aus­ge­beuteten bietet es Aus­gren­zung, Schranken und Repres­sion über­brück­ende Optio­nen zur Selb­stor­gan­i­sa­tion, Zusam­me­nar­beit und Organ­isierung.

In dieser Sit­u­a­tion ist es offen­sichtlich, dass “das Inter­net” zum Objekt gesellschaftlich­er Kämpfe wer­den muss. Die asym­metrischen Machtver­hält­nisse in unseren Gesellschaften weltweit und in der Welt­ge­sellschaft all­ge­mein kön­nen durch gesellschaftlichen Ein­fluss auf “das Inter­net” und auf das, was “das Inter­net” in Zukun­ft sein wird, in die eine oder andere Rich­tung bee­in­flusst wer­den. Von selb­st im Gle­ichgewicht bleiben, wer­den sie jeden­falls nicht (und mit Gle­ichgewicht sei die gegen­wär­tige Aus­gangslage ohne Wer­tung in die eine oder andere Rich­tung definiert).

Kurz: das Inter­net in zehn Jahren wird die Asym­me­trie der Machtver­hält­nisse gemessen an heute ver­schär­fen oder abschwächen. Und hier sehe ich den Auf­trag, weit­erge­hende Teil­haberechte am Inter­net zu fordern; auch um die Abwehrrechte gegenüber jen­er Seite zu stärken, die am län­geren Hebel asym­metrisch­er Machtver­hält­nisse agieren kann.

Abwehr- und Teilhaberechte

Es gibt ein Beispiel, wo diese Abwehr- und Teil­haberechte im Angesicht des Inter­nets heute schon ableit­bar sind. Dieses Beispiel mag ein gen­uin öster­re­ichis­ches sein und bet­rifft die Ver­fas­sung der Arbeitswelt:

Das Arbeitsver­fas­sungs­ge­setz gibt dem Betrieb­srat als Vertre­tung­sor­gan Mitbes­tim­mungsrechte für die Belegschaft und Kon­troll­rechte gegenüber ein­er Betriebs- oder Unternehmensleitung. Der Betrieb­srat hat ein Ver­hand­lungs­man­dat und kann Verträge mit der Unternehmensführung abschließen, die dann ein Ele­ment der Betrieb­sver­fas­sung darstellen; zum Beispiel: welche Regeln gel­ten für die Nutzung der Tele­fo­nan­lage, für den Gebrauch von E‑Mails, des Inter­nets oder des Zeit­er­fas­sungssys­tems. Damit wird der Spiel­raum willkür­lich­er Maß­nah­men, Regelun­gen und Forderun­gen des Man­age­ments eines Unternehmens gegenüber den im Unternehmen Arbei­t­en­den beschränkt.

Den Abschluss ein­er Betrieb­svere­in­barung “Inter­net” (und “E‑Mail”) kann der Betrieb­srat fordern, weil das Inter­net “zus­tim­mungspflichtig” ist. Das heißt, die geset­zlich vorge­se­hene Kör­per­schaft Betrieb­srat hat das Recht, die Nutzung des Inter­nets im Betrieb von der Zus­tim­mung dieses Organs abhängig zu machen. Zus­tim­mungspflichtig ist die Nutzung des Inter­nets wiederum, weil jede Nutzung per se die Men­schen­würde der Mitar­bei­t­erin­nen und Mitar­beit­er berührt. ((Josef Cerny et al.: Arbeitsver­fas­sungsrecht. Geset­ze und Kom­mentare 157. Band 3, 4. Auflage, Wien: ÖGB Ver­lag, S. 152f.))

Das bedeutet in der Prax­is nun lediglich, das eine Unternehmensführung in Öster­re­ich die Inter­net­nutzung nicht recht­ens aus­gestal­ten kann wie es ihr beliebt, wenn ein Betrieb­srat kon­sti­tu­iert ist und die Mitbes­tim­mungsrechte ein­fordert. In der Prax­is gibt es nicht immer einen Betrieb­srat und selb­st wenn ein­er kon­sti­tu­iert ist, wird kaum irgend­wo ein­mal per einst­weiliger Ver­fü­gung in einem Betrieb das Inter­net abge­dreht, weil dem Betrieb­srat der Abschluss ein­er Betrieb­svere­in­barung “Inter­net” ver­weigert wird, zu der er zus­tim­men kann.

Die Asym­me­trie der Machtver­hält­nisse zwis­chen Unternehmensführung und Mitar­bei­t­erin­nen und Mitar­beit­ern macht es zudem für erstere leicht, die Rechte zweit­er­er zu ignori­eren. Es ist wahrschein­lich, dass sie bei Mis­sach­tung der Per­sön­lichkeit­srechte ohne Kon­se­quen­zen davonkom­men, weil die Kon­trolle der tech­nis­chen Infra­struk­tur in den Hän­den erster­er liegt. Log-Files wie E‑Mails sind jed­erzeit und rel­a­tiv ein­fach les- und auswert­bar, ohne dass Mitar­bei­t­erin­nen und Mitar­beit­er das mit­bekom­men kön­nten.

Umgekehrt ist es über­all die Asym­me­trie von Machtver­hält­nis­sen, die durch kod­i­fizierte Rechte aller und also auch der­er, die sich in der schwächeren Posi­tion befind­en, beschränkt wer­den soll. Rechte von Lohn­ab­hängi­gen oder Rechte von Kon­sumentin­nen und Kon­sumenten, Rechte eines Vertre­tung­sor­gans wie des Betriebs- oder Gemeinde- oder Nation­al­rats, Grun­drechte all­ge­mein von Bürg­erin­nen und Bürg­ern, Men­schen­rechte – es geht stets um Abwehrrechte gegenüber Macht­miss­brauch und um Teil­haberechte.

Das konkrete Beispiel aus der Arbeitswelt ist für unsere Frage deshalb von beson­derem Inter­esse, weil hier erstens aus den Men­schen­recht­en etwas zur Regelung des Inter­nets in einem Teil­bere­ich abgeleit­et wird und zweit­ens die Durch­set­zung dieser Rechte in geregel­ter Art und Weise oper­a­tional­isiert ist. Vor allem aber wird – drit­tens – aus den Grun­drecht­en jed­er und jedes einzel­nen das Recht auf Mit­sprache an der Regelung des Inter­nets abgeleit­et, oper­a­tional­isiert hier durch die starke Ver­hand­lungspo­si­tion der Kör­per­schaft Betrieb­srat. Dieser kann für den Gel­tungs­bere­ich Betrieb die grundle­gen­den Regeln mitbes­tim­men, wie das Inter­net, Zugang, Nutzung, Kon­trolle und so weit­er im Unternehmen geregelt sind. Und er kann jede Änderung dieser Regeln mitbes­tim­men.

Vere­in­facht kön­nen wir von diesem Beispiel aus der Arbeitswelt auf die generelle Ebene ver­all­ge­mein­ern: “das Inter­net” berührt sowohl als grundle­gende Infra­struk­tur als auch durch seine tech­nis­chen Eigen­heit­en per se mehrere Men­schen­rechte, weswe­gen Änderun­gen an Struk­tur, Regeln und Ver­wal­tung des Inter­net “durch uns” zus­tim­mungspflichtig sein müssten, da diese Änderun­gen wiederum automa­tisch in unsere Men­schen­rechte ein­greifen und unsere durch Per­sön­lichkeit­srechte mit­tel­bar geschützte Grun­drechtssphäre beein­trächti­gen kön­nen.

Der Umstand, dass das Inter­net als transna­tionale Infra­struk­tur nationale Gel­tungs­bere­iche unter­läuft, sollte eine weit­ere Moti­va­tion darstellen, den Anspruch auf Teil­haberechte am Inter­net auf der Ebene der Men­schen­rechte zu for­mulieren (siehe auch Kap. 3.6. Die Gren­zen der juris­tis­chen Ver­fol­gung von Has­srede im Inter­net: Ein Beispiel aus Ungarn von V. Szaba­dos). Nationale Par­la­mente sind nicht automa­tisch durch demokratis­che Wahlen legit­imiert, zu Neuregelun­gen des Inter­nets in unseren Namen zuzus­tim­men.

Für Teil­haberechte aller am Inter­net spricht außer­dem und nicht zulet­zt, dass wir das, was “das Inter­net” gegen­wär­tig ist, nicht der Leis­tung eines Unternehmens oder dem Staat ver­danken, von dem uns diese Infra­struk­tur zur Ver­fü­gung gestellt wird. Es ist wed­er das Pro­dukt ein­er Fir­ma. Noch ist es natür­liche Ressource oder nation­al­staatlich organ­isiertes öffentlich­es Gut. “Das Inter­net” geht vielmehr auf vielschichtige Prozesse gesellschaftlich­er Pro­duk­tion zurück als auf eine unternehmerische Leis­tung oder staatliche Organ­i­sa­tion. Die Forderung auf Zugang muss dem einzel­nen Staat gegenüber gestellt wer­den. Der Rang des Men­schen­rechts soll diesem Recht lediglich mehr Gewicht beimessen und alle Staat­en zwin­gen, dieses Recht auf Zugang zu schützen. Das kann der Staat auch sehr ein­fach, fällt die Reg­ulierung des Zugangs doch in seine Domäne. Ein Recht auf Teil­habe am Inter­net, auf gle­ich­berechtigte Mitbes­tim­mung bei der Regelung und Ver­wal­tung des transna­tionalen Inter­nets, das kann der einzelne Staat nicht ein­fach durch­set­zen. Umso mehr müsste dieses Recht als uni­verselles Men­schen­recht gefordert wer­den.

Das für jeden Menschen Wesentliche am Internet

Wenn das Men­schen­recht nicht am Zugang zu Inter­net fest­machen, woran aber dann? Wenn “das Inter­net” gesellschaftlich schw­er zu fassen und noch schwieriger in ein­er Def­i­n­i­tion zu begreifen ist, die den Meta­mor­pho­sen über Entwick­lungszeiträume hin gerecht würde, wie dann die Rechte for­mulieren, die wir alle nur auf­grund unseres Men­sch­seins haben? Für die Vere­in­ten Natio­nen for­muliert die UN-Son­der­berichter­stat­terin Fari­da Sha­heed, zitiert in ein­er Aussendung der Vere­in­ten Natio­nen am 18. Mai 2012,

Da das Inter­net im Wesentlichen eine glob­ale Ressource darstellt, muss eine angemessene Regelung und Ver­wal­tung des Inter­nets das Recht eines jeden Men­schen auf selb­st­bes­timmten Zugang zu Infor­ma­tion eben­so wie auf selb­ster­mächtigte Nutzung von Infor­ma­tion und Kom­mu­nika­tion­stech­nolo­gien unab­d­ing­bar unter­stützen.” ((eigene Über­set­zung aus der Pressemit­teilung der Vere­in­ten Natio­nen vom 18. Mai 2012: “Inter­net gov­er­nance must ensure access for every­one”))

Diese For­mulierung geht deut­lich über die Forderung eines Rechts lediglich auf Zugang hin­aus. Zugang und die Nutzung müssen selb­st­bes­timmt und selb­ster­mächtigt möglich sein. Gle­ichzeit­ig kann diese For­mulierung den Charak­ter eines Appells an die, die regeln und ver­wal­ten, nicht ver­ber­gen. Den Regel­nden und Ver­wal­tenden wird zwar eine all­ge­meine Schutzpflicht der Rechte eines jeden Men­schen zuge­sprochen, ohne dass die Legit­i­ma­tion dieser unbes­timmten Regel­nden und Ver­wal­tenden aber ange­sprochen oder Bedin­gun­gen unter­wor­fen wird.

Ich habe weit­er oben bere­its vorgeschla­gen, mehr, näm­lich gle­ich­berechtigte Mitbes­tim­mung und Teil­haberechte am Inter­net zu fordern. Dazu möchte ich eine Konkretisierung ver­suchen, welche Aspek­te “am Inter­net” für jeden Men­schen so wesentlich sind, dass es unser­er Zus­tim­mung und also Kon­trollmöglichkeit­en bedarf, wie es geregelt und ver­wal­tet wird. Bis­lang bin ich der Frage aus­gewichen, was das Inter­net sei. Ich habe es vielmehr samt vor­angestell­ten bes­timmten Artikel in Anführungsze­ichen geset­zt und als etwas schw­er zu Begreifend­es charak­ter­isiert, als etwas im Rang grundle­gen­der, obwohl in der Men­schheits­geschichte noch junger Infra­struk­tur, vielschichtig und kom­plex auf Gesellschaft wirk­end, während “es”, “das Inter­net”, gle­ichzeit­ig gesellschaftlich pro­duziert und durch wider­stre­i­t­ende gesellschaftliche Gestal­tungsansprüche laufend weit­er verän­dert wird.

Mit dieser unbes­timmten Benen­nung lässt sich freilich keine halt­bare For­mulierung eines sin­nvollen Recht­sanspruchs gewin­nen. Die Def­i­n­i­tion und Beschrei­bung im Wikipedia-Artikel “Inter­net” hil­ft auch nicht weit­er.

Ich schlage die Unter­schei­dung von (min­destens) vier Aspek­ten und Eigen­schaften vor, die meines Eracht­ens für die Frage der Men­schen­rechte rel­e­vant sind:

  1. Ver­mit­tels Inter­net wer­den Dat­en über­tra­gen, Infor­ma­tio­nen. Es ist Über­tra­gungsmedi­um.
  2. Im Inter­net wer­den Dat­en gesichert, Infor­ma­tio­nen archiviert. Es ist Spe­icher­medi­um.
  3. Mit­tels Inter­net kom­mu­nizieren Men­schen. Es ist Kom­mu­nika­tion­s­medi­um.
  4. Im Inter­net und via Inter­net wer­den Dien­ste, Plat­tfor­men und Organ­i­sa­tio­nen gebaut. Dien­ste um weit­ere Dien­ste, Organ­i­sa­tio­nen, Plat­tfor­men zu bauen. Plat­tfor­men um weit­ere Dien­ste, Plat­tfor­men und Organ­i­sa­tio­nen zu grün­den. Organ­i­sa­tio­nen um Dien­ste, Plat­tfor­men und Organ­i­sa­tio­nen zu organ­isieren. Es ist grundle­gende Ressource und Infra­struk­tur.

All diese Eigen­schaften würde ich als grundle­gende beze­ich­nen, die als solche in einem sich laufend wan­del­nden Inter­net erhal­ten bleiben. Aus diesem Grund schlage ich vor, mit der Forderung von Recht­en auf diese grundle­gen­den Eigen­schaften Bezug zu nehmen. Beziehungsweise müssen sie aus der Per­spek­tive der Men­schen­rechte erhal­ten wer­den, sind es doch die für jeden Men­schen wesentlichen Dimen­sio­nen. Eine Trans­for­ma­tion des Inter­nets zum Beispiel in die Rich­tung, die das selb­ster­mächtigte Bauen von Dien­sten, Organ­i­sa­tio­nen und Plat­tfor­men ein­schränken oder verun­möglichen würde, käme einem willkür­lichen Auss­chluss von grundle­gen­den Ressourcen und Infra­struk­tur gle­ich und ver­let­zten Rechte wie das auf Arbeit, auf Bil­dung, auf Teil­habe am kul­turellen Leben. Die prinzip­ielle Bevorzu­gung einzel­ner gegenüber ander­er bei der Über­tra­gung von Dat­en würde bespiel­sweise das Prinzip der Gle­ich­berech­ti­gung ver­let­zen (siehe dazu auch Kap. 3.2. Net­zneu­tral­ität. Das Inter­net im Span­nungs­feld von Pub­lic Ser­vice und Kom­merzial­isierung von T. Pel­li­gri­ni).

All diese Eigen­schaften betr­e­f­fen alle Men­schen. Für alle Eigen­schaften soll­ten die Prinzip­i­en der Men­schen­rechte gel­ten – Uni­ver­sal­ität, Egal­ität, Unteil­barkeit.

Und dabei ist der Gebrauch des Inter­nets durch die oder den Einzel­nen selb­st nicht notwendig, um in der eige­nen Men­schen­würde berührt zu wer­den. Ähn­lich dem Beispiel aus der Arbeitswelt gilt, dass wir alle per se berührt sind: weil unsere beziehungsweise uns betr­e­f­fende Dat­en über­tra­gen wer­den. Weil über uns Dat­en erfasst wer­den und gespe­ichert wer­den, Dat­en unsere Pri­vat­sphäre berühren und allzu ein­fach dazu einge­set­zt wer­den kön­nen, unsere Persönlichkeits‑, Frei­heits- und sozialen Men­schen­rechte zu ver­let­zen. Weil unsere Kom­mu­nika­tion gestört oder mitver­fol­gt oder ohne unsere Zus­tim­mung gespe­ichert wird. Weil unsere Ideen, Pro­duk­te, Geschicht­en und Geschichte gespe­ichert oder ver­drängt wer­den. Weil unsere Organ­i­sa­tion und Art uns zu organ­isieren aus­ge­gren­zt, ange­grif­f­en und krim­i­nal­isiert wird.
Weil unser aller Möglichkeit­en der Datenüber­tra­gung, des Spe­ich­erns, des Kom­mu­nizierens, des Arbeit­ens, der freien Bewe­gung und des uns frei Organ­isierens durch Möglichkeit­en staatlich­er Repres­sion und kap­i­tal­is­tis­ch­er Aus­beu­tung im Inter­net und ver­mit­tels Inter­net in einem Maße bedro­ht sind, dass wir alle – Men­schen qua unser­er Men­schen­würde heute und in Zukun­ft – mitbes­tim­men kön­nen müssen, wie “das Inter­net” ent­lang der grundle­gen­den Eigen­schaften (1) Über­tra­gungsmedi­um, (2) Spe­icher­medi­um, (3) Kom­mu­nika­tion­s­medi­um sowie (4) Ressource und Infra­struk­tur geregelt und ver­wal­tet wird.

Conclusio

In Abwand­lung des bekan­nten Prinzips “Öffentliche Dat­en nützen, pri­vate Dat­en schützen” würde ich Angesichts von Inter­net und Men­schen­recht­en für einen Zugang plädieren, der auf die Formel “Men­schen­würde schützen, Abwehrrechte zur Teil­habe nützen” gebracht wer­den kön­nte. Damit sei noch ein­mal zusam­menge­fasst Fol­gen­des gemeint:

Das Inter­net in sein­er gegen­wär­ti­gen Form ist in kom­plex­en und diversen Prozessen gesellschaftlich­er Pro­duk­tion ent­standen, die mehr als zwei Jahrzehnte überspan­nen und weit­er zurück­re­ichen. Mit der Emer­genz des sich laufend weit­er entwick­el­nden und bisweilen struk­turell wan­del­nden Inter­nets ist etwas Neues in die Men­schheits­geschichte getreten, dessen glob­ale his­torische Bedeu­tung für uns in der Gegen­wart noch kaum angemessen bemessen wer­den kann. Inter­net verän­dert unsere Gesellschaften. Die Pro­duk­tion und Repro­duk­tion “des Inter­nets” passiert weit­er­hin in kom­plex­en und diversen gesellschaftlichen Prozessen unter bre­itester Teil­habe, wird aber gle­ichzeit­ig immer mehr von Staat­sap­pa­rat­en und Kap­i­tal­in­ter­essen bes­timmt und einge­gren­zt.

Die emi­nente Bedeu­tung des Inter­nets macht es notwendi­ger Weise zum Objekt von Herrschaftsin­ter­essen, die “das Inter­net”, seine Funk­tio­nen, Eigen­schaften und weitre­ichen­den Auswirkun­gen reg­ulieren und beherrschen wollen (beziehungsweise aus der Per­spek­tive der Herrschaft: müssen). In diesem Umfeld gilt es, die gesellschaftliche Teil­habe am Inter­net, an der Pro­duk­tion und laufend­en Repro­duk­tion des Inter­nets abzu­sich­ern. Vor diesem Hin­ter­grund gilt es, die Rechte jed­er und jedes Einzel­nen im Angesicht des Inter­nets und der Rechte am Inter­net zu schützen.

Dem Inter­net wohnt gle­icher­maßen großes emanzi­pa­torisches wie repres­sives Poten­tial inne. Im Angesicht der Kom­plex­ität dessen, was das Inter­net ist und mit Bedacht darauf, dass sich das was es ist ändern und soweit geän­dert wer­den kann, dass es zu etwas im Grunde anderem trans­formiert würde, plädiere ich für das Men­schen­recht am Inter­net.
Diese Forderung hat notge­drun­gen eine klar glob­ale und his­torische Per­spek­tive.

Ein Men­schen­recht am Inter­net darf nicht am Zugang zum Inter­net allein fest­gemacht wer­den. Alle Men­schen haben das Recht auf selb­ster­mächti­gen­den Zugang zu Datenüber­tra­gung und ein Recht darauf, dass ihre Dat­en sich­er über­tra­gen wer­den. Alle Men­schen haben das Recht auf selb­ster­mächti­gen­den Zugang zu Daten­spe­icherung. Alle Men­schen haben das Recht auf selb­ster­mächti­gen­den und sichere Kom­mu­nika­tion ver­mit­tels Inter­net. Alle Men­schen haben das Recht, die Ressource und die Infra­struk­tur “Inter­net” zu nutzen, um im und mit dem Inter­net selb­ster­mächtigt etwas zu pro­duzieren.

Ein Men­schen­recht am Inter­net muss die für alle Men­schen wesentlichen Eigen­schaften der Datenüber­tra­gung, des Spe­ich­erns, der Kom­mu­nika­tion und als Ressource und Infra­struk­tur benen­nen und über den Zugang hin­aus das Recht auf Mitbes­tim­mung an Struk­tur, Regeln und Ver­wal­tung für alle diese Eigen­schaften fes­thal­ten. Auf Basis ein­er solchen Grund­for­mulierung soll­ten Ableitun­gen für konkrete Umsetzungs‑, Bemes­sungs- und Entschei­dungs­fra­gen sowie die Über­set­zung in konkrete transna­tionale wie nationale Richtlin­ien, Geset­zes­texte, Verord­nun­gen und Verträge ein­deutig oper­a­tional­isier­bar sein. Und ein­deutig meint hier, so dass in konkreten Fällen schnell klar ist, ob etwas dem Recht aller Men­schen am Inter­net gerecht wird oder nicht.

 

 

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Informations-Dienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten

… ein Zeit­doku­ment aus jen­em Jahrzehnt, da der Begriff der Gegenöf­fentlichkeit Zeit­geist war:

erk­lärung des kollek­tivs
Infor­ma­tions-Dienst (ID)
zur Ver­bre­itung unterblieben­er Nachricht­en
((aus: ID-Archiv im Inter­na­tionalen Insti­tut für Sozialgeschichte: Pro­jekt Gedächt­nis. ID-Artikel aus den Jahren ’73-’81; Ams­ter­dam 1988))

… und hier eine Abschrift des Textes dieser Erk­lärung des
kollek­tivs ID vom 14.10.1973: