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Login um an ‘Klassenkampf im Internet’ teilzunehmen

choose new user­name: >class_war_kitteh< is tak­en already. ((Beitrag für die Kul­tur­risse. Zeitschrift für radikaldemokratis­che Kul­tur­poli­tik. Der wochen­lan­gen Migräne geschuldet bis in den post-dead­line Druck ver­schoben und dann knapp an halbbe­wusst her­an­re­ichend irgend­wie geschrieben. Was ziem­lich frus­tri­ert. Hab natür­lich nicht geschrieben, was ich seit April zu Schreiben die Kraft und Zeit zu find­en gehofft habe. Immer­hin weniger im Delir­i­um pro­duziert als eine Woche zuvor für den MALMOE Text. Ha! Did I put my frus­tra­tion in words already?))

Es scheint mir der heim­liche Klas­sik­er unter den MMOGs zu sein, den Mas­sive­ly Mul­ti­play­er Online Games: ‘Klassenkampf im Inter­net’. Klar, seit­dem es “das Inter­net” gibt, ist es so wie andere Schau­plätze auch Bühne für das was wir Klassenkampf nen­nen. So weit so banal, wieso auch sollte der grund­sät­zliche Antag­o­nis­mus hier aus­ge­set­zt sein.

In dieser SIM kämpf­st du in ein­er von vie­len möglichen Rollen um Macht im Inter­net. Übe Kri­tik an herrschen­den Ver­hält­nis­sen als Bürg­er, Men­schen­recht­sak­tivist oder Fem­i­nistin oder spiele eine der diversen Frak­tio­nen der herrschen­den Klasse. Bilde Net­zw­erke, beteilige dich am Kampf um Wis­sen, Rechte und Zugänge, bee­in­flusse das kom­mu­nika­tive Gedächt­nis und arbeite dich zum Gate-Keep­er des kul­turellen Gedächt­niss­es hin­auf. Ver­suche möglichst weite Teile der Infra­struk­tur unter deine Kon­trolle zu brin­gen, damit du die TOS zu deinen Gun­sten verän­dern kannst.”

So kön­nte die Wer­bung zum d/l der Soft­ware für diese kom­merziell erfol­gre­iche MMOG-SIM laut­en. Nur gibt es die SIM, das Sim­u­la­tion­sspiel nicht, welch­es ‘Klassenkampf im Inter­net’ zum expliziten The­ma machen würde.

Wir benen­nen die einzel­nen Kämpfe und Phänomene, kaum die Folie der grundle­gen­den Struk­tur. Copy­right wars, encryp­tion wars, right to access, dig­i­tal gap, info wars, kill switch­es, flame wars, indy­media, Vor­rats­daten­spe­icherung, print vs. online, Net­za­k­tivis­mus, wik­ileaks, tele­comix, anony­mous, dias­po­ra, Net­zneu­tral­ität, NSA, … benen­nen offen­sichtliche gesellschaftliche Kämpfe um Herrschaft und Aneig­nung ver­sus Selb­st­bes­tim­mung und gle­ich­berechtigte Teil­habe. Den­noch wird kaum expliz­it über den Klassenkampf im Inter­net gere­det, und fol­glich fließt diese ana­lytis­che Per­spek­tive (nach meinem Dafürhal­ten viel zu) wenig in gängige Debat­ten ein.

no opt-in, no opt-out throughout constant TOS change

Wir sind über die Fragestel­lung, ob “das Inter­net” nun Fluch oder Segen sei, weit­ge­hendst hin­aus. Die Zweifel, ob sich das durch­set­zen wird, sind seit eini­gen Jahren ver­s­tummt. Sei­ther dominiert ein Blick­winkel, der Risiken und Poten­tiale einzuschätzen ver­sucht. Die dichotome entwed­er-oder-Option, mit­machen oder ver­weigern, wird immer mehr als Illu­sion erkan­nt.

Mit oder ohne unser indi­vidu­elles Zutun kom­men zu unseren Iden­titäten weit­ere Schicht­en hinzu, die Dimen­sion der dig­i­tal­en Exis­tenz. Mit ihnen müssen wir uns spätestens dann auseinan­der­set­zen, wenn ihre Kon­struk­tion und Anrufung – sei es durch Unternehmen, Krankenkassen, Dien­st­ge­ber, Sicher­heit­sap­pa­rate oder Mit­men­schen – uns im All­t­ag zur Reak­tion, Antwort oder Kor­rek­tur zwingt. Selb­st ohne sicht­bare Kon­fronta­tion mit unseren dig­i­tal­en Exis­ten­zen, bee­in­flusst deren Kon­struk­tion und Eigen­leben in nur schein­bar virtuellen Wel­ten unsere Leben.

Was wir (noch) nicht mit­bekom­men, wird uns deswe­gen nicht nicht betr­e­f­fen. Soviel haben wir mit­bekom­men und der Ver­dacht sick­ert Jahr für Jahr tiefer. Die Enthül­lun­gen durch Edward Snow­den sind wed­er die erste Evi­denz noch wer­den sie der let­zte Anlass sein. Wir ler­nen kollek­tiv, dass wir die Dimen­sio­nen und Imp­lika­tio­nen des struk­turellen Wan­dels zur “dig­i­tal­en Gesellschaft” kaum begreifen kön­nen.

Kulturrisse Heft 3 2013
Kul­tur­risse Heft 3 2013

Wir sind zwangsläu­fig über­fordert. Der all­ge­gen­wär­tig wer­dende Ver­weis auf Algo­rith­men ist der gegen­wär­tige Ver­such, die unsicht­bare Macht zu verorten und Macht zu benen­nen. Das sich darin äußerende Unbe­ha­gen erzählt vom Bedürf­nis, nicht der­maßen regiert zu wer­den. So wie es etwa bei “Big Data”, nach Michel Fou­cault, wieder eigentlich um die Kun­st des Regierens geht, geht es bei den wider­ständi­gen Kämpfen “um das Inter­net” und in der Kri­tik darum, nicht der­maßen regiert zu wer­den. Stel­lvertre­tend für die Kri­tik sei hier auf Evge­ny Moro­zov ver­wiesen, dessen Arbeit durch dieses Leit­mo­tiv gekennze­ich­net ist.

Was es zu real­isieren, zu begreifen, zu analysieren gilt: “Das Inter­net” ist eine entschei­dende Bedin­gung für die Möglichkeit und den Wan­del des gegen­wär­ti­gen Kap­i­tal­is­mus, der gegen­wär­ti­gen Kul­turindus­trie, der gegen­wär­ti­gen Kon­trollge­sellschaft.

Opt-out ist keine Option, vielmehr müssen diese Bedin­gun­gen, die Wech­sel­wirkun­gen und Abhängigkeit­en, die Fol­gen und Inter­ven­tion­s­möglichkeit­en unter­sucht wer­den. War ein­mal die Eisen­bahn die Meta­pher für Geschwindigkeit und Druck von Verän­derun­gen, scheint mir heute die Datenüber­tra­gung im Glas­faserk­a­bel das passende Bild zu liefern: glob­ale Geld­ströme in Mil­lisekun­den trans­feriert, eine in die kollek­tive Real­ität aus­ge­broch­ene Sim­u­la­tion von Weltwirtschaft.

Soziologie des Internets anyone? #followerpower

Freilich ist “das Inter­net” nicht die alleinige, von anderen Fak­toren unab­hängige Ursache für Verän­derungs­druck. Men­sch denke nur an den anhal­tenden neolib­eralen Umbau der Gesellschaft, an die kap­i­tal­is­mus imma­nen­ten Wirtschaft­skrisen, an die Rebel­lio­nen und Wider­stands­be­we­gun­gen sowie den Aus­bau der staatlichen Repres­sion­sap­pa­rate.

Die Real­ität des Inter­net ist heute Bedin­gung für die Möglichkeit unseres Tur­bo-Kap­i­tal­is­mus, der Kul­turindus­trie, der Kon­trollge­sellschaft.

So wie wir nicht über “das Inter­net” los­gelöst von neolib­eraler Gou­verne­men­tal­ität, kap­i­tal­is­tis­ch­er Logik oder dem struk­turellen Wan­del des Medi­en­sys­tems reden kön­nen, kön­nen wir heute schlecht Gesellschaft all­ge­mein oder auch nur einzelne soziale Funk­tion­ssys­teme analysieren, ohne dabei “das Inter­net” mitzu­denken. Nun rei­he ich hier freilich abstrak­te Begriffe aneinan­der, für die es nicht im gle­ichen Maß ela­bori­erte The­o­riege­bäude und etablierte Prax­en der Kri­tik gibt. Zum Selb­sttest: Wie funk­tion­iert der Kap­i­tal­is­mus? Wie definieren wir Kon­trollge­sellschaft? Wie kön­nen wir Neolib­er­al­is­mus analysieren? Wie erfassen wir “das Inter­net”?

Für “das Inter­net” ist mir noch kein Ver­such eines Entwurfs ein­er “Sozi­olo­gie des Inter­nets” bekan­nt, wie Loïc Wac­quant das in den let­zten Jahren mit “dem Neolib­er­al­is­mus” ange­gan­gen ist. Das ist erstens nicht ver­wun­der­lich und zweit­ens ein biss­chen ein Äpfel und Bir­nen Ver­gle­ich. Er sollte aber deut­lich machen, wie sehr es uns an ana­lytis­chem Werkzeug man­gelt, den Ein­fluss “des Inter­nets” auf soziale Sys­teme, auf Organ­i­sa­tion, auf die Repro­duk­tion der Pro­duk­tions­be­din­gun­gen, auf For­men der Verge­sellschaf­tun­gen zu benen­nen, zu bemessen, zu ver­ste­hen.

Dann ist “das Inter­net” auch noch gle­ichzeit­ig Ursache, Mit­tel und Gegen­stand von Verän­derungs­druck. Und um meine Con­clu­sio vor­wegzunehmen, es ist nicht allein Bühne son­dern auch Objekt des Klassenkampfs. So wie tech­nol­o­gis­che Entwick­lun­gen in der Men­schheits­geschichte immer wieder, evoziert und erzwingt es

  1. Mod­i­fika­tio­nen sozialer Organ­i­sa­tions­for­men,
  2. struk­turellen Wan­del in beste­hen­den sowie
  3. die Emer­genz neuer Organ­i­sa­tions­for­men und
  4. gesamt­ge­sellschaftlichen sozialen Wan­del.

Damit bekommt es zwin­gend die Aufmerk­samkeit, die ein­er der­art mächti­gen Appa­ratur gebührt. Wer gesellschaftliche Ver­fü­gungs­ge­walt über “das Inter­net” hat, hat die besseren Karten, Rich­tung und Aus­maß des Verän­derungs­drucks bee­in­flussen oder gün­sti­gen Falls bes­tim­men zu kön­nen.

Willkom­men also im Kampf um möglichst viel Ver­fü­gungs­ge­walt über “das Inter­net”. Das heißt, um Zugang zum und um Teil­habe am “Inter­net”, vor allem heißt das aber, willkom­men im Kampf darum, was “das Inter­net” ist und sei, im Kampf um die Architek­tur, die Reg­ulierung, die Eigen­schaften, die Funk­tio­nen.

Worum wir kämpfen im Klassenkampf um das Internet

Gerun­gen wird auf vie­len Ebe­nen. “Das Inter­net” ist kom­plex, schw­er zu er_fassen, und solange wir uns nicht auf eine Sozi­olo­gie des Inter­nets stützen kön­nen, die grundle­gen­der Kri­tik stand­hält, am besten in Anführungsze­ichen zu schreiben. Es ste­ht zu befürcht­en, dass die Aufzäh­lung der Kämpfe und Ebe­nen uns nicht viel weit­er­hil­ft. Ich schlage daher an Stelle der all­ge­meinen Rede vom “Inter­net” vor, vier kon­sti­tu­tive Aspek­te, Eigen­schaften und Funk­tio­nen zu unter­schei­den. Das Inter­net ist das alles gle­ichzeit­ig:

  • Über­tra­gungsmedi­um,
  • Ressource und Infra­struk­tur,
  • Kom­mu­nika­tion­s­medi­um und
  • Spe­icher­medi­um.

Jed­er dieser Aspek­te ist umkämpft. Für die herrschende Klasse ist die Beherrschung aller vier Eigen­schaften Bedin­gung für Macher­halt und ‑aus­bau und so kön­nen wir über­all die Bestre­bun­gen sehen, diese Funk­tio­nen reg­ulieren, beschränken und aus­beuten zu kön­nen. Sog­ar den Aus­tausch von Eliten, Machtver­schiebun­gen und Kämpfe inner­halb der herrschen­den Klasse kön­nen wir vor diesem Hin­ter­grund einiger­maßen logisch nachze­ich­nen sowie antizip­ieren. Dazu genügt der Blick darauf, wer sich die Kon­trolle über diese Funk­tio­nen aneignen kon­nte. Allerd­ings ist Kon­trolle nicht so ein­fach zu gewin­nen und erhal­ten.

Betra­cht­en wir “das Inter­net” mit der Meta­pher der Stadt, müssten wir eher an wild wuch­ernde Megac­i­ties wie Istan­bul, Mexiko-City oder Mum­bai in Phasen der Bevölkerung­sex­plo­sion denken als an eine gebändigte Stadt wie Wien. Geregelte und ungeregelte Verkehrsströme wird es hier wie da geben, eben­so wildes Bauen, Speku­la­tion, Aneig­nung und Ver­drän­gung, Gat­ed Com­mu­ni­ties und Freiräume, ver­schiedene Nutzungsarten und Ökonomien, Sprachen und Milieus, Grup­pen und Net­zw­erke. Das Ver­hält­nis von durchge­set­zter Zen­tral­ge­walt und strikt geregel­ten Bere­ichen gegenüber diversen het­ero­ge­nen und umkämpften sowie selb­stor­gan­isierten Herrschafts­bere­ichen kön­nte unter­schiedlich­er nicht sein.

So wie die explodierende Megac­i­ty von ein­er Zen­tral­ge­walt nicht ein­fach und schon gar nicht schnell bis in die Details der Nutzung von Wegen, Bebau­ung, Raum­nutzung hinein regiert wer­den kann, so wenig kann “das Inter­net” und die Nutzung des­sel­ben — heute schon — schnell, ein­fach und zen­tral regiert wer­den.

Aber hier wie da gilt, dass die Architek­tur und Organ­i­sa­tion der Stadt wie die des Inter­nets wan­delt. Das eine wie das andere ist ständi­gen wenn auch nicht kon­tinuier­lichen Trans­for­ma­tio­nen unter­wor­fen. Alle gesellschaftlichen Grup­pen wer­den hier wie da ver­suchen, ihre Organ­i­sa­tions­for­men zu erhal­ten, ihren Begriff von Stadt beziehungsweise von Inter­net durchzuset­zen. Hier wie da wird die Form der Trans­for­ma­tio­nen nicht durch gle­ich­berechtigte Ausver­hand­lung der Inter­essen son­dern durch asym­metrische Machtver­hält­nisse bes­timmt.

Das Inter­net” hat in der kurzen Zeit sein­er Entwick­lung deut­lich illus­tri­ert, dass es herrschen­den Eliten gefährlich wer­den kann, wenn diese es nicht gemäß ihrer Inter­essen umfor­men kön­nen. Dementsprechend haben wir es mit mehr als nur mit ein­er fortschre­i­t­en­den Inte­gra­tion “des Inter­nets” unter herrschende Struk­tur­logiken zu tun: des Kap­i­tal­is­mus, des Patri­ar­chats.

Wir erleben einen Back­lash, den Ver­such des Umbaus “des Inter­nets” zu etwas anderem. Das freilich ist ein langfristiger Prozess mit unbes­timmten Aus­gang. Über die Struk­tur­logik sollte kein Zweifel beste­hen. Es geht um die Kon­trolle der Pro­duk­tivkräfte und Pro­duk­tions­be­din­gun­gen.

 

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Menschenrecht auf Internet?

Für eine Pub­lika­tion des öster­re­ichis­chen Co:Lab einen Gedanken­gang aus­ge­führt, der seit ger­aumer Zeit im Hin­terkopf herum­schwirrt und der bis­lang nur in vere­inzel­ten Gesprächen debat­tiert wurde. Das waren dann auch nicht allzu viel Gele­gen­heit­en, den Argu­men­ta­tion­sstrang über­prüfen zu lassen.

Es han­delt sich also um eine recht rohe, aus Zeit- und Energiegrün­den etwas schlu­drig aus­gear­beit­ete Skizze. Also bitte zerpflück­en. Und auf­sam­meln was brauch­bar ist.

 

Die These:

Update: Mit­tler­weile auch in Kappes/Krone/Novy (Hg): Medi­en­wan­del kom­pakt 2011–2013 erschienen.

Da “das Inter­net” keine ein­fache Ressource ist son­dern etwas eben­so kom­plex­es wie divers­es, umfassend gar nicht bes­timm­bares, das sich in unab­se­hbar­er Weise weit­er entwick­elt und auch in seinem Wesen trans­formiert wer­den kann, greifen Forderun­gen nach einem Men­schen­recht auf Zugang zu kurz. Das Inter­net wird in gesellschaftlichen Prozessen verän­dert und es trans­formiert umgekehrt unsere Gesellschaften.
Vor diesem Hin­ter­grund sollte von einem Recht auf Teil­habe am Inter­net aus­ge­gan­gen wer­den und das heißt, auf Teil­habe an den gesellschaftlichen Prozessen der Weit­er­en­twick­lung, Reg­ulierung und Ver­wal­tung des Inter­nets.

 

Rechte eines jeden Menschen _am_ Internet

Ein Plä­doy­er für die generelle Forderung auf gle­ich­berechtigte Mitbes­tim­mung bei der Regelung und Ver­wal­tung des Inter­net

Recht oder Privileg

Debat­ten zu Inter­net und zu Men­schen­recht­en gibt es seit ger­aumer Zeit. Die For­mulierung der gesellschaftlichen Forderung eines all­ge­meinen Rechts auf Zugang zum Inter­net ist beina­he so alt wie das Inter­net selb­st. Wirft men­sch die Such­maschi­nen an und begin­nt “inter­net”, “access” und “right” einzugeben, so wer­den Auto-Aus­füll­funk­tio­nen vielle­icht zusät­zlich “human right” oder “or priv­i­lege” vorschla­gen. Die Suchtr­e­f­fer führen jeden­falls dahin, dass diese Diskus­sion auf vie­len Ebe­nen geführt wird, dass die Vere­inigten Natio­nen offen­sichtlich der Ansicht sind, der Zugang zu Inter­net sei ein fun­da­men­tales Recht, und dass einzelne Staat­en ein entsprechende Recht bere­its kod­i­fiziert haben.

Die Frage, ob es angesichts des Inter­nets neuer Men­schen­rechte bedarf, ist also in der einen und anderen Form schon ein paar mal beant­wortet wor­den. Sie wurde 2003 am ersten “World Sum­mit on the Infor­ma­tion Soci­ety” disku­tiert und ist auch auf der Ebene der Vere­in­ten Natio­nen bis heute The­ma. Sie wird weit­er gestellt wer­den. Sie wird noch des öfteren in die eine oder andere Rich­tung beant­wortet wer­den.

Matthias Ket­te­mann hat in seinem Beitrag “Neue Men­schen­rechte für das Inter­net?” (Kapi­tel 2.1.) zu dieser Pub­lika­tion dargelegt, dass er aus juris­tis­ch­er Per­spek­tive die Notwendigkeit neuer Men­schen­rechte für das Inter­net nicht sieht. Vielmehr müsse um- und durchge­set­zt wer­den, dass “was offline gilt, auch online gel­ten muss”. Es gilt den errun­genen Men­schen­recht­en erster, zweit­er und drit­ter Gen­er­a­tion zur Durch­set­zung zu ver­helfen (siehe Kap. 1.1. Der Zusam­men­hang von Ethik und Recht und die Rolle der Men­schen­rechte von Christof Tschohl). ((Die Ver­weise zu anderen Beiträ­gen inner­halb der Co:Lab AT Pub­lika­tion  um solche han­delt es sich hier und weit­er unten noch ein paar Mal  ­ver­linke ich ex post, sobald alles online gegan­gen ist.))

So stim­mig diese Sicht und so wichtig dieser Zugang ist, so komme ich angesichts der grundle­gen­den Fragestel­lung doch zu einem anderen Schluss: Die For­mulierung und Etablierung von uni­ver­salen Recht­en eines jeden Men­schen in Bezug auf das Inter­net wären ein immenser gesellschaftlich­er Fortschritt. Es wäre zu hof­fen, und das dur­chaus im Sinne der Parolen der franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion und aus der Per­spek­tive der Men­schen­rechte, dass die poli­tis­chen, ökonomis­chen, kul­turellen und also gesamt­ge­sellschaftlichen Kämpfe zur Durch­set­zung dieser Rechte irgend­wann erfol­gre­ich sind.

Welche Rechte jed­er Einzel­nen am Inter­net alleine vor dem Hin­ter­grund Men­schen­würde abgesichert sein soll­ten, und warum es sich lohnen würde, für die Rechte aller am Inter­net zu kämpfen, soll im Fol­gen­den entwick­elt wer­den.

Begründungen des Rechtsanspruchs

Das Recht auf Zugang soll absich­ern helfen, dass nie­mand gegen den eige­nen Willen vom Inter­net aus­geschlossen wer­den kann. Dass ein erzwun­gener Auss­chluss vom Inter­net eine emi­nente Benachteili­gung darstellt, ist im zweit­en Jahrzehnt des ein­undzwanzig­sten Jahrhun­derts nicht mehr bestre­it­bar. Frühe Forderun­gen aus den 1990er Jahren zeigen, dass diese Entwick­lung lange abse­hbar war und früh gese­hen wurde. Die dom­i­nante Argu­men­ta­tion­slin­ie für das Recht auf Inter­net­zu­gang, damals wie heute, stellt den unge­hin­derten Zugang zu Infor­ma­tion (Infor­ma­tions­frei­heit) und das Recht auf freie Mei­n­ungsäußerung sowie deren Bedeu­tung für lib­erale demokratis­che Gesellschaften in den Vorder­grund: das Inter­net als Infor­ma­tions- und Pub­lika­tion­sraum, der für Teil­habe an gesellschaftlichen Debat­ten und an poli­tis­chen Mei­n­ungs­bil­dung­sprozessen grundle­gend gewor­den ist.

Fol­gen wir der Argu­men­ta­tion von Matthias Ket­te­manns Beitrag in diesem Band, müsste tat­säch­lich von den beste­hen­den Men­schen­recht­en der Infor­ma­tions­frei­heit und dem Recht auf freie Mei­n­ungsäußerung ableit­bar sein, dass nie­man­dem der Zugang zum Inter­net prinzip­iell ver­wehrt wer­den darf, weil das diese uni­ver­salen Rechte ver­let­zen würde. Inter­netsper­ren wider­sprechen dem­nach eigentlich fun­da­men­tal­en Men­schen­recht­en (siehe Kap. 2.2. Inter­netsper­ren und Men­schen­rechte von J. Messer­schmidt).

Der Fokus auf Infor­ma­tions- und Mei­n­ungs­frei­heit lässt in den Hin­ter­grund treten, dass es “das Inter­net” auch für eine Rei­he ander­er Men­schen­rechte braucht. Es ste­ht heute im Rang grundle­gen­der Infra­struk­tur, ähn­lich dem Post- und Verkehr­swe­sen oder der Strom- und Gasver­sorgung. Wer keinen Zugang hat und wer keine E‑Mail-Adresse nutzen kann, ist in unser­er Gesellschaft schlechter gestellt als andere und diese Benachteili­gung geht soweit, dass unfrei­willige Inter­net­ferne als ein Indika­tor für Seg­re­ga­tion gel­ten kann. Über keine E‑Mail-Adresse ver­fü­gen zu kön­nen ste­ht in ein­er Rei­he mit kein Bankkon­to haben und keine Tele­fon­num­mer angeben kön­nen für gesellschaftlichen Auss­chluss.

Das Inter­net” in sein­er gegen­wär­ti­gen Form ist essen­tiell für das Recht auf Bil­dung, das Recht auf Arbeit, das Recht auf Teil­habe am kul­turellen Leben, das Recht auf Selb­st­bes­tim­mung der Völk­er, das Recht auf Entwick­lung, um nur die offen­sichtlichen Men­schen­rechte zu nen­nen, die ohne Zugang zum Inter­net für viele nicht (mehr) sich­er gestellt sind. Freilich stellt das Inter­net in sein­er gegen­wär­ti­gen Form auch eine Bedro­hung für fun­da­men­tale Rechte dar, vor­rangig für Per­sön­lichkeit­srechte, das Recht auf Frei­heit vor willkür­lichen Ein­grif­f­en in die Pri­vat­sphäre (siehe Kap. 2.4. Wir haben ein Recht auf Anonymität von M. Bauer, Kap. 2.5. Inter­net-Men­schen­rechte in der arbeit­srechtlichen Kampf­zone von T. Kreiml sowie Kap. 2.6. Par­a­dig­men­wech­sel “Vor­rats­daten­spe­icherung” im europäis­chen Daten­schutzrecht von Chr. Tschohl und Kap. 2.7. Die Reform des EU Daten­schutzrechts von A. Krisch).

Des Internets Metamorphosen

Das Inter­net” ändert sich. Es ist schwierig zu sagen, was das Inter­net auch nur gegen­wär­tig ist, geschweige denn, wie es in drei, in fünf oder erst recht in zwanzig Jahren ausse­hen und in sein­er ganzen Kom­plex­ität funk­tion­ieren wird. Zur Zeit der frühen Forderun­gen nach einem Men­schen­recht auf Inter­net­zu­gang kon­nte möglicher­weise etwas wie ein Bre­it­ban­dan­schluss oder ein Inter­net of Things (IoT) antizip­iert wer­den, aber unmöglich die gesellschaftliche Bedeu­tung von Google oder Face­book (siehe dazu auch Kap. 3.2. Ist Face­book ein neuer öffentlich­er Raum? von M. Ket­te­mann), die Entwick­lun­gen eines SEO-Gewerbes, der Branche der Social Media Man­ag­er oder der “Data Deal­er”, die Emer­genz neuer gesellschaftlich­er Modi der Selb­stor­gan­i­sa­tion wie im Fall von Anony­mous, beim Gut­ten­Plag oder – früher – ein­er Wikipedia.

Das wozu wir Zugang haben und wofür wir für alle Men­schen gle­icher­maßen ein all­ge­meines Zugangsrecht sich­ern wollen, weil es für die Frei­heit­en der Einzel­nen und für die demokratis­che Ver­fas­sung aller so ele­men­tar ist, das bleibt über die Zeit hin­weg nicht stetig iden­tisch. Mit diesem Gedanken schiebt sich ein unan­genehmer Ver­dacht ins Blick­feld. Was wenn “das Inter­net” irgend­wann nicht mehr dieses “das Inter­net” ist, dem wir diese Bedeu­tung zumessen. In den let­zten Jahren häufen sich die War­nun­gen vor einem dro­hen­den “Ende des freien Inter­nets” (Zur Ver­i­fizierung ein­fach die Phrase in eine Such­mas­chine eingeben).

Heute tun wir uns ger­ade noch schw­er, uns einen per­so­n­en­spez­i­fis­chen vol­lkom­men Auss­chluss vom Inter­net vorzustellen, ob durch staatliche Gewalt oder die Willkür eines Unternehmens durchge­set­zt (“Ich kann immer noch bei jeman­den anderen und mit anderen Geräten sur­fen”). Dabei kön­nte das immer konzen­tri­ert­ere Vorge­hen gegen Anonymität irgend­wann darin enden, dass der Inter­net­zu­gang ohne bio­metrische Iden­ti­fizierung nicht mehr möglich oder erlaubt ist. Dieses eine Beispiel soll lediglich zeigen, “das Inter­net” über­fordert unsere Vorstel­lung, nicht zulet­zt weil es in der Men­schheits­geschichte immer noch rel­a­tiv neu ist.

Das, was es ist, entwick­elt sich laufend weit­er, eben­so was es alles bedeutet, was es alles evoziert und so weit­er. Wir wis­sen nicht, was “das Inter­net” in einiger Zeit von jet­zt sein wird.

Es wäre töricht, für die ange­sproch­enen laufend­en Verän­derun­gen dessen, was das Inter­net ist, automa­tisch das Bild von Fortschritt im Sinne pos­i­tiv­er Weit­er­en­twick­lung anzunehmen. “Das Inter­net” ist im Großen und Ganzen eben­so wie in vie­len Teil­bere­ichen Objekt kom­plex­er gesellschaftlich­er Kämpfe und das gle­ichzeit­ig auf glob­aler, transna­tionalen, auf regionalen und nationalen Ebe­nen.

Wenn “das Inter­net” sich aber laufend ändert, stellt sich die Frage nach der Trag­weite ein­er Forderung, die sich auf den Aspekt des Zugangs beschränkt. Mitte der 1990er hat­te men­sch mit einem Inter­net­zu­gang zu einem anderen Inter­net Zugang als 2005. Der Begriff “Web 2.0” benen­nt genau diesen Punkt direkt, die Emer­genz von etwas Neuem mit neuen Sys­tem­logiken, das nicht mehr so funk­tion­iert und zu ver­ste­hen ist wie “vorher”.
Bald ein Jahrzehnt später unter­liegt das Inter­net weit­er ras­an­ten Entwick­lun­gen. Und es hat ras­ante Entwick­lun­gen wie den so genan­nten “ara­bis­chen Früh­ling” und den tief­greifend­en Struk­tur­wan­del des massen­medi­alen Sys­tems befördert.

Sim­pel zusam­menge­fasst: Gesellschaft ändert Inter­net, Inter­net ändert Gesellschaft.
(Wie wäre der Tur­bo­fi­nanzkap­i­tal­is­mus ohne Inter­net und Glas­faserk­a­bel denkbar? Wie das Inter­net in gegen­wär­tiger Form ohne die erste Gen­er­a­tion der Freie Soft­ware — Bewe­gung?)

Asymmetrien verstärkend oder entschärfend?

Heute wird allen­thal­ben vom Recht auf Zugang zu Face­book, Twit­ter oder Youtube gesprochen. Der Auss­chluss von ein­er dieser Plat­tfor­men entspricht mit­tler­weile in eini­gen Fällen dem, was das Recht auf Inter­net­zu­gang sich­ern sollte: Auss­chluss von Infor­ma­tions- und Mei­n­ungs­frei­heit. In diesen Fällen genügte es nicht, den all­ge­meinen Zugang zum Inter­net als Men­schen­recht abzu­sich­ern. Umgekehrt bliebe auch nicht viel von der Inten­tion über, wenn Zugang irgend­wann zu etwas führt, was jede und jeden einzel­nen – ähn­lich dem Zugang zu Radio und Fernse­hen – auf wenige, von anderen willkür­lich vorgegebene Nutzung­möglichkeit­en beschränkt.

Die For­mulierung des Recht­sanspruchs, des Rechts auf Inter­net beziehungsweise am Inter­net, muss struk­turellen Wan­del mit­denken. Sie sollte dem Anspruch auf Mit­sprache bei der Gestal­tung, Regelung und Ver­wal­tung des Inter­nets gerecht wer­den. Und hier find­et sich die Unter­schei­dung zu der von Matthias Ket­te­mann for­mulierten Posi­tion. Es genügt nicht, nur den gülti­gen Men­schen­recht­en im Inter­net zur Gel­tung zu ver­helfen, um das Teil­haberecht an den öffentlichen Diskursen und poli­tis­ch­er Mei­n­ungs­bil­dung zu sich­ern. Es bedarf der anerkan­nten und durch­set­zbaren Teil­haberechte am Inter­net selb­st. Nur auf dieser Basis kann, würde ich argu­men­tieren, auf Dauer das Recht jed­er und jedes Einzel­nen auf Gle­ich­berech­ti­gung unab­hängig von Merk­malen wie eth­nis­ch­er, sozialer oder religiös­er Zuge­hörigkeit, sex­ueller Ori­en­tierung oder Behin­derung und unab­hängig von Wohl­stand, Sta­tus oder Weltan­schau­ung gesichert wer­den.

Nur durch Rechte nicht allein auf son­dern am Inter­net, wird Schutz vor staatlich­er wie auch pri­vatwirtschaftlich­er Willkür, die Abwehr von von Ein­grif­f­en in den geschützten Frei­heits­bere­ich der Einzel­nen abgesichert.

Das Inter­net, und hier braucht es wieder den Zusatz “in sein­er gegen­wär­ti­gen Form”, ver­größert den Hand­lungsspiel­raum sowohl der gesellschaftlichen Starken und Mächti­gen als auch der sozial Benachteiligten und Schwachen. Den Herrschen­den bieten sich ungeah­nte Möglichkeit­en der Überwachung, Kon­trolle und Diszi­plin­ierung durch das tief in die Pri­vat­sphären hinein operierende Inter­net. Den Unter­drück­ten und Aus­ge­beuteten bietet es Aus­gren­zung, Schranken und Repres­sion über­brück­ende Optio­nen zur Selb­stor­gan­i­sa­tion, Zusam­me­nar­beit und Organ­isierung.

In dieser Sit­u­a­tion ist es offen­sichtlich, dass “das Inter­net” zum Objekt gesellschaftlich­er Kämpfe wer­den muss. Die asym­metrischen Machtver­hält­nisse in unseren Gesellschaften weltweit und in der Welt­ge­sellschaft all­ge­mein kön­nen durch gesellschaftlichen Ein­fluss auf “das Inter­net” und auf das, was “das Inter­net” in Zukun­ft sein wird, in die eine oder andere Rich­tung bee­in­flusst wer­den. Von selb­st im Gle­ichgewicht bleiben, wer­den sie jeden­falls nicht (und mit Gle­ichgewicht sei die gegen­wär­tige Aus­gangslage ohne Wer­tung in die eine oder andere Rich­tung definiert).

Kurz: das Inter­net in zehn Jahren wird die Asym­me­trie der Machtver­hält­nisse gemessen an heute ver­schär­fen oder abschwächen. Und hier sehe ich den Auf­trag, weit­erge­hende Teil­haberechte am Inter­net zu fordern; auch um die Abwehrrechte gegenüber jen­er Seite zu stärken, die am län­geren Hebel asym­metrisch­er Machtver­hält­nisse agieren kann.

Abwehr- und Teilhaberechte

Es gibt ein Beispiel, wo diese Abwehr- und Teil­haberechte im Angesicht des Inter­nets heute schon ableit­bar sind. Dieses Beispiel mag ein gen­uin öster­re­ichis­ches sein und bet­rifft die Ver­fas­sung der Arbeitswelt:

Das Arbeitsver­fas­sungs­ge­setz gibt dem Betrieb­srat als Vertre­tung­sor­gan Mitbes­tim­mungsrechte für die Belegschaft und Kon­troll­rechte gegenüber ein­er Betriebs- oder Unternehmensleitung. Der Betrieb­srat hat ein Ver­hand­lungs­man­dat und kann Verträge mit der Unternehmensführung abschließen, die dann ein Ele­ment der Betrieb­sver­fas­sung darstellen; zum Beispiel: welche Regeln gel­ten für die Nutzung der Tele­fo­nan­lage, für den Gebrauch von E‑Mails, des Inter­nets oder des Zeit­er­fas­sungssys­tems. Damit wird der Spiel­raum willkür­lich­er Maß­nah­men, Regelun­gen und Forderun­gen des Man­age­ments eines Unternehmens gegenüber den im Unternehmen Arbei­t­en­den beschränkt.

Den Abschluss ein­er Betrieb­svere­in­barung “Inter­net” (und “E‑Mail”) kann der Betrieb­srat fordern, weil das Inter­net “zus­tim­mungspflichtig” ist. Das heißt, die geset­zlich vorge­se­hene Kör­per­schaft Betrieb­srat hat das Recht, die Nutzung des Inter­nets im Betrieb von der Zus­tim­mung dieses Organs abhängig zu machen. Zus­tim­mungspflichtig ist die Nutzung des Inter­nets wiederum, weil jede Nutzung per se die Men­schen­würde der Mitar­bei­t­erin­nen und Mitar­beit­er berührt. ((Josef Cerny et al.: Arbeitsver­fas­sungsrecht. Geset­ze und Kom­mentare 157. Band 3, 4. Auflage, Wien: ÖGB Ver­lag, S. 152f.))

Das bedeutet in der Prax­is nun lediglich, das eine Unternehmensführung in Öster­re­ich die Inter­net­nutzung nicht recht­ens aus­gestal­ten kann wie es ihr beliebt, wenn ein Betrieb­srat kon­sti­tu­iert ist und die Mitbes­tim­mungsrechte ein­fordert. In der Prax­is gibt es nicht immer einen Betrieb­srat und selb­st wenn ein­er kon­sti­tu­iert ist, wird kaum irgend­wo ein­mal per einst­weiliger Ver­fü­gung in einem Betrieb das Inter­net abge­dreht, weil dem Betrieb­srat der Abschluss ein­er Betrieb­svere­in­barung “Inter­net” ver­weigert wird, zu der er zus­tim­men kann.

Die Asym­me­trie der Machtver­hält­nisse zwis­chen Unternehmensführung und Mitar­bei­t­erin­nen und Mitar­beit­ern macht es zudem für erstere leicht, die Rechte zweit­er­er zu ignori­eren. Es ist wahrschein­lich, dass sie bei Mis­sach­tung der Per­sön­lichkeit­srechte ohne Kon­se­quen­zen davonkom­men, weil die Kon­trolle der tech­nis­chen Infra­struk­tur in den Hän­den erster­er liegt. Log-Files wie E‑Mails sind jed­erzeit und rel­a­tiv ein­fach les- und auswert­bar, ohne dass Mitar­bei­t­erin­nen und Mitar­beit­er das mit­bekom­men kön­nten.

Umgekehrt ist es über­all die Asym­me­trie von Machtver­hält­nis­sen, die durch kod­i­fizierte Rechte aller und also auch der­er, die sich in der schwächeren Posi­tion befind­en, beschränkt wer­den soll. Rechte von Lohn­ab­hängi­gen oder Rechte von Kon­sumentin­nen und Kon­sumenten, Rechte eines Vertre­tung­sor­gans wie des Betriebs- oder Gemeinde- oder Nation­al­rats, Grun­drechte all­ge­mein von Bürg­erin­nen und Bürg­ern, Men­schen­rechte – es geht stets um Abwehrrechte gegenüber Macht­miss­brauch und um Teil­haberechte.

Das konkrete Beispiel aus der Arbeitswelt ist für unsere Frage deshalb von beson­derem Inter­esse, weil hier erstens aus den Men­schen­recht­en etwas zur Regelung des Inter­nets in einem Teil­bere­ich abgeleit­et wird und zweit­ens die Durch­set­zung dieser Rechte in geregel­ter Art und Weise oper­a­tional­isiert ist. Vor allem aber wird – drit­tens – aus den Grun­drecht­en jed­er und jedes einzel­nen das Recht auf Mit­sprache an der Regelung des Inter­nets abgeleit­et, oper­a­tional­isiert hier durch die starke Ver­hand­lungspo­si­tion der Kör­per­schaft Betrieb­srat. Dieser kann für den Gel­tungs­bere­ich Betrieb die grundle­gen­den Regeln mitbes­tim­men, wie das Inter­net, Zugang, Nutzung, Kon­trolle und so weit­er im Unternehmen geregelt sind. Und er kann jede Änderung dieser Regeln mitbes­tim­men.

Vere­in­facht kön­nen wir von diesem Beispiel aus der Arbeitswelt auf die generelle Ebene ver­all­ge­mein­ern: “das Inter­net” berührt sowohl als grundle­gende Infra­struk­tur als auch durch seine tech­nis­chen Eigen­heit­en per se mehrere Men­schen­rechte, weswe­gen Änderun­gen an Struk­tur, Regeln und Ver­wal­tung des Inter­net “durch uns” zus­tim­mungspflichtig sein müssten, da diese Änderun­gen wiederum automa­tisch in unsere Men­schen­rechte ein­greifen und unsere durch Per­sön­lichkeit­srechte mit­tel­bar geschützte Grun­drechtssphäre beein­trächti­gen kön­nen.

Der Umstand, dass das Inter­net als transna­tionale Infra­struk­tur nationale Gel­tungs­bere­iche unter­läuft, sollte eine weit­ere Moti­va­tion darstellen, den Anspruch auf Teil­haberechte am Inter­net auf der Ebene der Men­schen­rechte zu for­mulieren (siehe auch Kap. 3.6. Die Gren­zen der juris­tis­chen Ver­fol­gung von Has­srede im Inter­net: Ein Beispiel aus Ungarn von V. Szaba­dos). Nationale Par­la­mente sind nicht automa­tisch durch demokratis­che Wahlen legit­imiert, zu Neuregelun­gen des Inter­nets in unseren Namen zuzus­tim­men.

Für Teil­haberechte aller am Inter­net spricht außer­dem und nicht zulet­zt, dass wir das, was “das Inter­net” gegen­wär­tig ist, nicht der Leis­tung eines Unternehmens oder dem Staat ver­danken, von dem uns diese Infra­struk­tur zur Ver­fü­gung gestellt wird. Es ist wed­er das Pro­dukt ein­er Fir­ma. Noch ist es natür­liche Ressource oder nation­al­staatlich organ­isiertes öffentlich­es Gut. “Das Inter­net” geht vielmehr auf vielschichtige Prozesse gesellschaftlich­er Pro­duk­tion zurück als auf eine unternehmerische Leis­tung oder staatliche Organ­i­sa­tion. Die Forderung auf Zugang muss dem einzel­nen Staat gegenüber gestellt wer­den. Der Rang des Men­schen­rechts soll diesem Recht lediglich mehr Gewicht beimessen und alle Staat­en zwin­gen, dieses Recht auf Zugang zu schützen. Das kann der Staat auch sehr ein­fach, fällt die Reg­ulierung des Zugangs doch in seine Domäne. Ein Recht auf Teil­habe am Inter­net, auf gle­ich­berechtigte Mitbes­tim­mung bei der Regelung und Ver­wal­tung des transna­tionalen Inter­nets, das kann der einzelne Staat nicht ein­fach durch­set­zen. Umso mehr müsste dieses Recht als uni­verselles Men­schen­recht gefordert wer­den.

Das für jeden Menschen Wesentliche am Internet

Wenn das Men­schen­recht nicht am Zugang zu Inter­net fest­machen, woran aber dann? Wenn “das Inter­net” gesellschaftlich schw­er zu fassen und noch schwieriger in ein­er Def­i­n­i­tion zu begreifen ist, die den Meta­mor­pho­sen über Entwick­lungszeiträume hin gerecht würde, wie dann die Rechte for­mulieren, die wir alle nur auf­grund unseres Men­sch­seins haben? Für die Vere­in­ten Natio­nen for­muliert die UN-Son­der­berichter­stat­terin Fari­da Sha­heed, zitiert in ein­er Aussendung der Vere­in­ten Natio­nen am 18. Mai 2012,

Da das Inter­net im Wesentlichen eine glob­ale Ressource darstellt, muss eine angemessene Regelung und Ver­wal­tung des Inter­nets das Recht eines jeden Men­schen auf selb­st­bes­timmten Zugang zu Infor­ma­tion eben­so wie auf selb­ster­mächtigte Nutzung von Infor­ma­tion und Kom­mu­nika­tion­stech­nolo­gien unab­d­ing­bar unter­stützen.” ((eigene Über­set­zung aus der Pressemit­teilung der Vere­in­ten Natio­nen vom 18. Mai 2012: “Inter­net gov­er­nance must ensure access for every­one”))

Diese For­mulierung geht deut­lich über die Forderung eines Rechts lediglich auf Zugang hin­aus. Zugang und die Nutzung müssen selb­st­bes­timmt und selb­ster­mächtigt möglich sein. Gle­ichzeit­ig kann diese For­mulierung den Charak­ter eines Appells an die, die regeln und ver­wal­ten, nicht ver­ber­gen. Den Regel­nden und Ver­wal­tenden wird zwar eine all­ge­meine Schutzpflicht der Rechte eines jeden Men­schen zuge­sprochen, ohne dass die Legit­i­ma­tion dieser unbes­timmten Regel­nden und Ver­wal­tenden aber ange­sprochen oder Bedin­gun­gen unter­wor­fen wird.

Ich habe weit­er oben bere­its vorgeschla­gen, mehr, näm­lich gle­ich­berechtigte Mitbes­tim­mung und Teil­haberechte am Inter­net zu fordern. Dazu möchte ich eine Konkretisierung ver­suchen, welche Aspek­te “am Inter­net” für jeden Men­schen so wesentlich sind, dass es unser­er Zus­tim­mung und also Kon­trollmöglichkeit­en bedarf, wie es geregelt und ver­wal­tet wird. Bis­lang bin ich der Frage aus­gewichen, was das Inter­net sei. Ich habe es vielmehr samt vor­angestell­ten bes­timmten Artikel in Anführungsze­ichen geset­zt und als etwas schw­er zu Begreifend­es charak­ter­isiert, als etwas im Rang grundle­gen­der, obwohl in der Men­schheits­geschichte noch junger Infra­struk­tur, vielschichtig und kom­plex auf Gesellschaft wirk­end, während “es”, “das Inter­net”, gle­ichzeit­ig gesellschaftlich pro­duziert und durch wider­stre­i­t­ende gesellschaftliche Gestal­tungsansprüche laufend weit­er verän­dert wird.

Mit dieser unbes­timmten Benen­nung lässt sich freilich keine halt­bare For­mulierung eines sin­nvollen Recht­sanspruchs gewin­nen. Die Def­i­n­i­tion und Beschrei­bung im Wikipedia-Artikel “Inter­net” hil­ft auch nicht weit­er.

Ich schlage die Unter­schei­dung von (min­destens) vier Aspek­ten und Eigen­schaften vor, die meines Eracht­ens für die Frage der Men­schen­rechte rel­e­vant sind:

  1. Ver­mit­tels Inter­net wer­den Dat­en über­tra­gen, Infor­ma­tio­nen. Es ist Über­tra­gungsmedi­um.
  2. Im Inter­net wer­den Dat­en gesichert, Infor­ma­tio­nen archiviert. Es ist Spe­icher­medi­um.
  3. Mit­tels Inter­net kom­mu­nizieren Men­schen. Es ist Kom­mu­nika­tion­s­medi­um.
  4. Im Inter­net und via Inter­net wer­den Dien­ste, Plat­tfor­men und Organ­i­sa­tio­nen gebaut. Dien­ste um weit­ere Dien­ste, Organ­i­sa­tio­nen, Plat­tfor­men zu bauen. Plat­tfor­men um weit­ere Dien­ste, Plat­tfor­men und Organ­i­sa­tio­nen zu grün­den. Organ­i­sa­tio­nen um Dien­ste, Plat­tfor­men und Organ­i­sa­tio­nen zu organ­isieren. Es ist grundle­gende Ressource und Infra­struk­tur.

All diese Eigen­schaften würde ich als grundle­gende beze­ich­nen, die als solche in einem sich laufend wan­del­nden Inter­net erhal­ten bleiben. Aus diesem Grund schlage ich vor, mit der Forderung von Recht­en auf diese grundle­gen­den Eigen­schaften Bezug zu nehmen. Beziehungsweise müssen sie aus der Per­spek­tive der Men­schen­rechte erhal­ten wer­den, sind es doch die für jeden Men­schen wesentlichen Dimen­sio­nen. Eine Trans­for­ma­tion des Inter­nets zum Beispiel in die Rich­tung, die das selb­ster­mächtigte Bauen von Dien­sten, Organ­i­sa­tio­nen und Plat­tfor­men ein­schränken oder verun­möglichen würde, käme einem willkür­lichen Auss­chluss von grundle­gen­den Ressourcen und Infra­struk­tur gle­ich und ver­let­zten Rechte wie das auf Arbeit, auf Bil­dung, auf Teil­habe am kul­turellen Leben. Die prinzip­ielle Bevorzu­gung einzel­ner gegenüber ander­er bei der Über­tra­gung von Dat­en würde bespiel­sweise das Prinzip der Gle­ich­berech­ti­gung ver­let­zen (siehe dazu auch Kap. 3.2. Net­zneu­tral­ität. Das Inter­net im Span­nungs­feld von Pub­lic Ser­vice und Kom­merzial­isierung von T. Pel­li­gri­ni).

All diese Eigen­schaften betr­e­f­fen alle Men­schen. Für alle Eigen­schaften soll­ten die Prinzip­i­en der Men­schen­rechte gel­ten – Uni­ver­sal­ität, Egal­ität, Unteil­barkeit.

Und dabei ist der Gebrauch des Inter­nets durch die oder den Einzel­nen selb­st nicht notwendig, um in der eige­nen Men­schen­würde berührt zu wer­den. Ähn­lich dem Beispiel aus der Arbeitswelt gilt, dass wir alle per se berührt sind: weil unsere beziehungsweise uns betr­e­f­fende Dat­en über­tra­gen wer­den. Weil über uns Dat­en erfasst wer­den und gespe­ichert wer­den, Dat­en unsere Pri­vat­sphäre berühren und allzu ein­fach dazu einge­set­zt wer­den kön­nen, unsere Persönlichkeits‑, Frei­heits- und sozialen Men­schen­rechte zu ver­let­zen. Weil unsere Kom­mu­nika­tion gestört oder mitver­fol­gt oder ohne unsere Zus­tim­mung gespe­ichert wird. Weil unsere Ideen, Pro­duk­te, Geschicht­en und Geschichte gespe­ichert oder ver­drängt wer­den. Weil unsere Organ­i­sa­tion und Art uns zu organ­isieren aus­ge­gren­zt, ange­grif­f­en und krim­i­nal­isiert wird.
Weil unser aller Möglichkeit­en der Datenüber­tra­gung, des Spe­ich­erns, des Kom­mu­nizierens, des Arbeit­ens, der freien Bewe­gung und des uns frei Organ­isierens durch Möglichkeit­en staatlich­er Repres­sion und kap­i­tal­is­tis­ch­er Aus­beu­tung im Inter­net und ver­mit­tels Inter­net in einem Maße bedro­ht sind, dass wir alle – Men­schen qua unser­er Men­schen­würde heute und in Zukun­ft – mitbes­tim­men kön­nen müssen, wie “das Inter­net” ent­lang der grundle­gen­den Eigen­schaften (1) Über­tra­gungsmedi­um, (2) Spe­icher­medi­um, (3) Kom­mu­nika­tion­s­medi­um sowie (4) Ressource und Infra­struk­tur geregelt und ver­wal­tet wird.

Conclusio

In Abwand­lung des bekan­nten Prinzips “Öffentliche Dat­en nützen, pri­vate Dat­en schützen” würde ich Angesichts von Inter­net und Men­schen­recht­en für einen Zugang plädieren, der auf die Formel “Men­schen­würde schützen, Abwehrrechte zur Teil­habe nützen” gebracht wer­den kön­nte. Damit sei noch ein­mal zusam­menge­fasst Fol­gen­des gemeint:

Das Inter­net in sein­er gegen­wär­ti­gen Form ist in kom­plex­en und diversen Prozessen gesellschaftlich­er Pro­duk­tion ent­standen, die mehr als zwei Jahrzehnte überspan­nen und weit­er zurück­re­ichen. Mit der Emer­genz des sich laufend weit­er entwick­el­nden und bisweilen struk­turell wan­del­nden Inter­nets ist etwas Neues in die Men­schheits­geschichte getreten, dessen glob­ale his­torische Bedeu­tung für uns in der Gegen­wart noch kaum angemessen bemessen wer­den kann. Inter­net verän­dert unsere Gesellschaften. Die Pro­duk­tion und Repro­duk­tion “des Inter­nets” passiert weit­er­hin in kom­plex­en und diversen gesellschaftlichen Prozessen unter bre­itester Teil­habe, wird aber gle­ichzeit­ig immer mehr von Staat­sap­pa­rat­en und Kap­i­tal­in­ter­essen bes­timmt und einge­gren­zt.

Die emi­nente Bedeu­tung des Inter­nets macht es notwendi­ger Weise zum Objekt von Herrschaftsin­ter­essen, die “das Inter­net”, seine Funk­tio­nen, Eigen­schaften und weitre­ichen­den Auswirkun­gen reg­ulieren und beherrschen wollen (beziehungsweise aus der Per­spek­tive der Herrschaft: müssen). In diesem Umfeld gilt es, die gesellschaftliche Teil­habe am Inter­net, an der Pro­duk­tion und laufend­en Repro­duk­tion des Inter­nets abzu­sich­ern. Vor diesem Hin­ter­grund gilt es, die Rechte jed­er und jedes Einzel­nen im Angesicht des Inter­nets und der Rechte am Inter­net zu schützen.

Dem Inter­net wohnt gle­icher­maßen großes emanzi­pa­torisches wie repres­sives Poten­tial inne. Im Angesicht der Kom­plex­ität dessen, was das Inter­net ist und mit Bedacht darauf, dass sich das was es ist ändern und soweit geän­dert wer­den kann, dass es zu etwas im Grunde anderem trans­formiert würde, plädiere ich für das Men­schen­recht am Inter­net.
Diese Forderung hat notge­drun­gen eine klar glob­ale und his­torische Per­spek­tive.

Ein Men­schen­recht am Inter­net darf nicht am Zugang zum Inter­net allein fest­gemacht wer­den. Alle Men­schen haben das Recht auf selb­ster­mächti­gen­den Zugang zu Datenüber­tra­gung und ein Recht darauf, dass ihre Dat­en sich­er über­tra­gen wer­den. Alle Men­schen haben das Recht auf selb­ster­mächti­gen­den Zugang zu Daten­spe­icherung. Alle Men­schen haben das Recht auf selb­ster­mächti­gen­den und sichere Kom­mu­nika­tion ver­mit­tels Inter­net. Alle Men­schen haben das Recht, die Ressource und die Infra­struk­tur “Inter­net” zu nutzen, um im und mit dem Inter­net selb­ster­mächtigt etwas zu pro­duzieren.

Ein Men­schen­recht am Inter­net muss die für alle Men­schen wesentlichen Eigen­schaften der Datenüber­tra­gung, des Spe­ich­erns, der Kom­mu­nika­tion und als Ressource und Infra­struk­tur benen­nen und über den Zugang hin­aus das Recht auf Mitbes­tim­mung an Struk­tur, Regeln und Ver­wal­tung für alle diese Eigen­schaften fes­thal­ten. Auf Basis ein­er solchen Grund­for­mulierung soll­ten Ableitun­gen für konkrete Umsetzungs‑, Bemes­sungs- und Entschei­dungs­fra­gen sowie die Über­set­zung in konkrete transna­tionale wie nationale Richtlin­ien, Geset­zes­texte, Verord­nun­gen und Verträge ein­deutig oper­a­tional­isier­bar sein. Und ein­deutig meint hier, so dass in konkreten Fällen schnell klar ist, ob etwas dem Recht aller Men­schen am Inter­net gerecht wird oder nicht.

 

 

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Der Designauftrag. Das Internet. Der Betriebsrat.

httpvh://www.youtube.com/watch?v=sW_7i6T_H78

Banale Logik, logis­ches Denken. Der Des­ig­nauf­trag: das Ding sollte so designed und dann pro­duziert wer­den, dass es die Halt­barkeit möglichst exakt der Gewährleis­tungs­frist plus ein Tag hat und dann auch in Teilen nicht weit­er­ver­wen­det oder gün­stig repari­ert wer­den kann. Sim­ple as that.

Neben­bei bemerkt,