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tu felix austria, was darfst Du stolz sein auf die Schulpflicht seit 1774

«Bil­dung durch Schul­bil­dung» – Teil I

Erster Teil ein­er — geplanten — kleinen Serie über die gesellschaftliche Funk­tion der Schul­bil­dung für die soziale Insti­tu­tion “Bil­dung” all­ge­mein; und über die öster­re­ichis­che Schul­bil­dung im Speziellen.

 

Das Bil­dungssys­tem Öster­re­ichs. Es hat so etwas wie eine his­torische Geburtsstunde. Das kann gut in der Wikipedia nachge­le­sen wer­den (siehe Link). Für das her­aus­ra­gende Ereig­nis, die Geburtsstunde unseres Bil­dungswe­sens, müssen wir freilich kaum nach­le­sen (höch­stens die genaue Jahreszahl). Es ist all­ge­meines Wis­sen in Öster­re­ich, soge­nan­nte All­ge­mein­bil­dung und mehr noch, Teil unseres kul­turellen Gedächt­nis:

Die Schulpflicht ist in Öster­re­ich bere­its unter Maria There­sia ((Das wird auch allen­thal­ben in Artikeln der Tage­spresse her­vorge­hoben, zulet­zt im Stan­dard am 17. April 2007 in einem Bericht zu den Visio­nen der Indus­triel­len­vere­ini­gung für eine Schul­re­form in Ö.)) einge­führt wor­den.

Schulordnung Abt Felbinger
Die von Abt Fel­binger ver­fasste all­ge­meine Schu­lord­nung. Der Stolz Öster­re­ichs: die all­ge­meine Unter­richt­spflicht wurde von Maria There­sia 1774 einge­führt!

Die Eck­punk­te sind klar bzw. gek­lärt: Maria There­sia, Ein­führung der Schulpflicht, his­torisch gese­hen früh und also fortschrit­tlich, mod­ern, aufgek­lärt. Das ist etwas, auf das wir stolz sind.

Gut, es heißt richtig Unter­richt­spflicht und nicht die Schulpflicht. Nichts­destotrotz, unser Bil­dungssys­tem, das staatlich organ­isierte und die Gesamtheit der Bevölkerung erfassende Schul­sys­tem, ist deut­lich früher als das viel­er anderen europäis­chen Natio­nen aufge­baut und einge­führt wor­den. Das aufgek­lärte Frankre­ich, la grande nation? 1882! Na also, ver­gle­ich­sweise rück­ständig.

Das Comeback der Bildungsdebatte

Bil­dung, der Begriff ist so halb und halb wieder in aller Munde. Die Debat­ten, die unter dem Label “Bil­dungs­de­bat­ten” öffentlich geführt wer­den, sie berühren allerd­ings nur am Rande bis oft ein­mal auch gar nicht, worum es sich bei “Bil­dung” han­delt; d.h., welche Funk­tion Bil­dung in der Gesellschaft erfüllt und welche Bedeu­tung Bil­dung für das Funk­tion­ieren der Gesellschaft spielt.

Dass in den Bil­dungs­de­bat­ten nicht über Bil­dung son­dern über nationale Rank­ings, über Refor­men, Reförm­chen und Ret­tungsver­suche ein­er spez­i­fis­chen, im deutschsprachi­gen Raum her­aus­ge­bilde­ten Struk­tur des Schul­we­sens disku­tiert und gestrit­ten wird, das stellt erstens keine Über­raschung dar und ist zweit­ens eine logis­che Kon­se­quenz der Funk­tion­sweise von Bil­dung sel­ber. Drit­tens sind all diese Debat­ten noch lange keine Katas­tro­phe, nur weil nun nicht über Bil­dung disku­tiert wird, nicht im min­destens. Diese Debat­ten sind wichtig. Die Punk­te, um die gestrit­ten wird, haben einige gesellschaftliche Rel­e­vanz, sie machen einen Unter­schied.

Und mir liegt abso­lut nichts daran, mit der selb­st­gerecht­en Elfen­bein­tur­mgeste manch­er Philosoph_innen die Bedeu­tung all dieser “ach so naiv­en” Bil­dungs­de­bat­ten wegzuwis­chen um zu posaunen:

«Wir müssen zuerst ein­mal den Begriff Bil­dung klären!!!»

Verbildet über (Ver)Bildung debattieren?

Ich hätte freilich gar nichts dage­gen, wenn der Begriff disku­tiert würde, den wir gemein­hin von Bil­dung (und Erziehung) haben. Ich bin ein großer Fre­und von jedem Dia­log, in dem abgek­lärt wer­den kön­nte, ob “wir” den Begriff zur Sache teilen oder nicht teilen, ein bißchen in den Sichtweisen vari­ieren oder von fun­da­men­tal Unter­schiedlichem sprechen? Hey, dage­gen ist gar nichts zu sagen!

Ich will sog­ar genau das in ein­er kleinen Serie von Beiträ­gen ver­suchen; mit der Beto­nung freilich auf ver­suchen ((Also, so sieht mein Plan zumin­d­est aus. Was will ich the­ma­tisieren? Den Hum­bug des ide­al­is­tis­chen Bil­dungs­be­griffs, Bil­dung als die soziale Insti­tu­tion zur Repro­duk­tion vorherrschen­der gesellschaftlich­er Ord­nung, eine Typolo­gie von Bil­dung in tra­di­tionelle, bürg­er­liche, aris­tokratis­che und Arbeit­er­bil­dung, die Bild­wel­ten der bürg­er­lichen Bil­dung, die Funk­tion des Klassen­ver­bands für Gesellschaft und Staat, Bil­dung als Kühlsys­tem in ein­er heißen Gesellschaft, Bil­dung und die Inte­gra­tion in die Leis­tungs­ge­sellschaft, die Kluft zwis­chen Schule und Hochschule, die Illu­sion der Chan­cen­gle­ich­heit und der Leis­tungs­ge­sellschaft etc.)). Ich will also in ein paar Ein­trä­gen zum The­ma, der Sache und dem Begriff bzw. den Begrif­f­en (und den diversen Aspek­ten der Sache) etwas auf den Grund gehen und näher kom­men.

Wenn ich also tat­säch­lich ein wenig (auch) an ein­er Begriff­sklärung arbeit­en will, so ist damit nicht im min­desten auf eine ein­fache Def­i­n­i­tion abgezielt. Das funk­tion­iert näm­lich nicht! Über­raschung. Das geht gar nicht. Und das Prob­lem ist nicht mal so sehr, dass das sinn­los wäre, son­dern vielmehr kon­trapro­duk­tiv!

Es gibt/gäbe die Def­i­n­i­tio­nen ja. Pro­to­typ­isch vielle­icht à la «Bil­dung ist die … humm humm humm … dings Men­schw­er­dung … humm humm … Fähigkeit zu Ver­ant­wor­tung für das eigene Glück … humm … Prozess zu humm dings Autonomie des Indi­vidu­ums …»?
Jawohl! Jet­zt ken­nen wir uns alle aus und kön­nen losle­gen. 😛 (Wom­it? Egal) Das funk­tion­iert in etwa so gut wie: gib mir eine Def­i­n­i­tion für “Wirtschaft”. Knack­ig. Für “Poli­tik”? Sehr schön!Macht”? Das waren jet­zt zwei Sätze, dass muss noch bündi­ger gehen. (Und wenn in ein­er Def­i­n­i­tion ein Begriff wie Wille oder Trieb vorkommt … humm .. jet­zt wo wir in Fahrt sind: gib mir eine Def­i­n­i­tion für “Wille” und eine für “Trieb”).

«Die gesellschaftliche Funktion von Bildung»

Zurück zur Über­schrift dieses ersten Ein­trags von dem, was — unbeschei­den — eine Serie wer­den soll. Hier ist die All­ge­meine Schu­lord­nung von 1774 ange­sprochen. Auch hier haben wir es mit ein­er “Def­i­n­i­tion” zu tun und im Umgang mit dieser kann ich vielle­icht andeuten, wie ich mich dem The­ma näh­ern will. Die Def­i­n­i­tion lautet sin­ngemäß,

Maria There­sia hat das staatliche Schul­we­sen einge­führt und mit der großen Schul­re­form samt Ein­führung der Unter­richt­spflicht dem Volk die Bil­dung beziehungsweise min­destens den Zugang zu Bil­dung gebracht.

Das klingt wun­der­bar, lässt alles in einem schö­nen Licht (im dem der Chan­cen­gle­ich­heit) erscheinen und uns stolz auf unsere Geschichte und auf die weise wie gütige Kaiserin sein.
Und das Ganze ist außer­dem ein ordentlich­er Hum­bug.

Für ein Schul­we­sen braucht es näm­lich mehr als eine Verord­nung. Das war früher so wie heute, für eine Umset­zung von Etwas bedarf es mehr als nur Wil­lens­bekun­dun­gen von Poli­tik­erIn­nen. Im Falle eines Schul­we­sens wären das LehrerIn­nen samt Aus­bil­dungssys­te­men für LehrerIn­nen, Posten, Bezahlung, Ver­wal­tung. Das wären Schulen, d.h. Gebäude, ihre Errich­tung, ihr Unter­halt, ihre Ausstat­tung und ihre Ver­wal­tung. Da Liste müsste fort­ge­set­zt wer­den und würde lang wer­den. Ich will sie mit dem — in den Augen viel­er — wichtig­stem Ele­ment eines Schul­we­sens sofort wieder been­den, vorauf ich hin­aus will ist wohl bere­its klar. Aber für die Ein­führung eines Schul­we­sens mit Unter­richt­spflicht bedürfte es jeden­falls der Schü­lerIn­nen.
Man kann die Geburtsstunde eines staatlichen, die Gesamtheit der Bevölkerung erfassenden Schul­we­sens an dem Datum ein­er Verord­nung fest­machen. Man kann freilich ganz banal fra­gen und empirisch erforschen, wann eine Verord­nung auch in die Prax­is umge­set­zt wurde, oder?

Und nun rat­en wir mal alle, wann war es in Öster­re­ich soweit, dass die Infra­struk­tur für ein Schul­we­sen flächen­deck­end geschaf­fen, wie heißt es so schön: Das nötige Geld in die Hand genom­men wurde, und die Unter­richt­spflicht auch öster­re­ich­weit bis in die Alpen­täler hin­auf exeku­tiert wurde?

… späte 50er Jahre stimmt!

Aber welch­es Jahrhun­dert?

Fort­set­zung fol­gt

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Haben Sie auch eine Arbeiterklasse?

Diese Frage wird im Laufe eines Inter­views gestellt, das der stv. Chefredak­teur des Fal­ter Klaus Nüchtern mit dem Schrift­steller Julian Barnes geführt hat. Ich liebe diese Frage! Sie wird übri­gens nicht vom Inter­view­er son­dern vom Inter­viewten als Rück­frage gestellt. Das ganze Inter­view ist hier nach­les­bar.

Im Vor­feld zu dieser Frage wird über Sport, Fußball und großar­tige Spiel­er geplaud­ert. Und Nüchtern bemerkt, dass englis­che Män­ner sportlich­er wären als öster­re­ichis­che. Und dass man das schon in der U‑Bahn sehen könne. Klaus Nüchtern stellt dazu auch gle­ich eine inter­es­sante Hypothese auf:
Vielle­icht liegt es daran, dass kör­per­liche Arbeit in Eng­land noch eine größere Rolle spielt.

Darauf entspan­nt sich ein eben­so schön­er wie inter­es­san­ter Dia­log, der mit Barnes her­rlichen Rück­frage anset­zt:

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es ist manchmal wohltuend, nicht “zu hause” zu sein

Das gilt zwar erstens für alles, was wir hier in der Fremde (Her­migua, Gomera) von der Heimat Wien nicht mit­bekom­men,
gilt aber zweit­ens im Beson­deren für die nicht vorhan­dene Fähigkeit der Bewäl­ti­gung und Über­wäl­ti­gung öster­re­ichis­ch­er (heimatlich­er) Neon­azis “zu Hause”.

Die Nicht-Über-und-Bewäl­ti­gung, die wir hier in der Fremde … wohltuen­der Weise … nicht mit­bekom­men!

So, hier­mit will ich dem auch etwas Gutes abgewin­nen und zur jun­gle-world und einem dort erschienen artikel über den stra­che-hump­dump ver­linken.

Sup­port Jun­gle World!!, sie brauchen’s ger­ade. Was nichts anderes bedeutet als wir brauchens (, falls uns die let­zten kri­tisch-linken medi­en­al­ter­na­tiv­en irgen­det­was wert sind).

ps: upps, Ergänzung, let­zteres merkt man u.a. daran, dass der link nicht direkt zum Artikel führt son­dern eine Seite von jun­gle-world zwis­chengeschal­ten ist. Ein­fach run­ter­scrollen und Weit­er Klick­en …