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Aufzeichnung vom ‘Run Against’ Podium

Die Podi­ums­diskus­sion zu Protestkul­tur in Öster­re­ich vom 2. Dezem­ber 2011 ist online. Das Podi­um fand im Rah­men der beein­druck­enden Run Against Tage in Wels zusam­men (Hat­te es in den G’scheit Reden Ter­mi­nen Mitte Novem­ber gepostet).

In short, das war ein sehr fein­er Ter­min, ein net­ter Abend der Kälte in der Fab­rik­shalle zum Trotz, und ein Abend mit mehreren schö­nen Begeg­nun­gen, auch wenn ich in der gle­ichen Nacht noch nach Fürsten­feld weit­er­fahren musste. Danke für die Ein­ladung und vor allem für die tolle Ver­anstal­tung.

httpv://www.youtube.com/watch?v=R3iyRhLW2‑0

Gesamte Diskus­sion ist auf sechs Clips aufgeteilt, entwed­er nach Ablauf des ersten Clips im Video selb­st auf den zweit­en klick­en, oder hier

httpv://www.youtube.com/watch?v=zQjxtvn9vAA

httpv://www.youtube.com/watch?v=KiP2akBCG9k

httpv://www.youtube.com/watch?v=rfBMlj5t974

httpv://www.youtube.com/watch?v=WGNkQRtzvJg

httpv://www.youtube.com/watch?v=1nKHE-4ZzkA

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Am Platz hat himmlischer Friede zu herrschen

Bilder von kommenden Aufständen

Ein neues Gespenst geht um in Europa, aber es ist nicht das des Kom­mu­nis­mus. Es hat bis­lang keinen Namen. Es ist noch nicht ein­mal ein ‑ismus, aber dafür existieren zahlre­iche Bilder, die als Erscheinen und Umge­hen des Gespen­sts inter­pretiert wer­den. Alleine 2011 sind unzäh­lige Fotografien und Video­bilder in Print‑, audio­vi­suellen und elek­tro­n­is­chen Medi­en hinzugekom­men. Die Bilder zeigen von protestieren­den Men­schen beset­zte Plätze in europäis­chen Metropolen. Dieser Fülle an Bildern (pic­tures) ste­ht ent­ge­gen, dass das Bild (image), das wir uns vom Gespenst machen, noch etwas schemen­haftes, flüchtiges hat.

Im Vor­feld des 15. Mai 2011 ent­standen, ver­bre­it­et sich dieses knappe Man­i­fest schnell via Inter­net und strahlt bis heute weit über die Gren­zen Spaniens hin­aus aus. Auf democraciarealya.es ist es in mehreren Sprachen nachzule­sen.

Es gibt Man­i­feste, die disku­tiert wer­den. Neben den Tex­ten des Unsicht­baren Komi­tees: Der kom­mende Auf­s­tand, Ham­burg 2010 [frz. Orig. 2007] und Stéphane Hes­sels: «Empört Euch!», Berlin 2011 [frz. Orig. 2010] sei hier auf das «Man­i­fiesto — ¡Democ­ra­cia Real YA!» der spanis­chen Indig­na­dos-Bewe­gung ver­wiesen, die ihren Namen von Hes­sels Aufruf ableit­et.
Was es nicht gibt, sind außer Stre­it ste­hende Vor­denkerIn­nen, die die Erschei­n­un­gen des neuen Gespen­sts so schlüs­sig zu erk­lären im Stande wären, dass wir von einem klaren Bild sein­er Gestalt, Entste­hung, Reich­weite, Macht und Lebens­dauer aus­ge­hen kön­nten.

Aus der Per­spek­tive gegen­wär­tiger Zeit­geschichte ist nicht auszuschließen, dass das, was heute als Gespenst erscheint, ex post nur als Phan­tas­ma bew­ertet wird. Davon wäre zu sprechen, wenn die aktuell im paneu­ropäis­chen kom­mu­nika­tiv­en Gedächt­nis ver­ankerten Begriffe «Syn­tag­ma», «S21», «indig­na­dos», «occu­py» etc. ihre zen­trale Posi­tion ver­lieren wür­den, ohne nach­haltig in das kul­turelle Gedächt­nis Europas eingear­beit­et zu wer­den. ((Für die Unter­schei­dung zwis­chen kom­mu­nika­tivem und kul­turellem Gedächt­nis siehe Jan Ass­mann: «Das kul­turelle Gedächt­nis. Schrift, Erin­nerung und poli­tis­che Iden­tität in frühen Hochkul­turen», München 1992)) In der his­torischen Bew­er­tung hät­ten wir es dann mit der Verdich­tung eines all­ge­meineren Phänomens zu tun gehabt, das mit Judith But­ler nüchtern beschreib­bar wäre als:

In the last months there have been, time and again, mass demon­stra­tions on the street, in the square, and though these are very often moti­vat­ed by dif­fer­ent polit­i­cal pur­pos­es, some­thing sim­i­lar hap­pens: bod­ies con­gre­gate, they move and speak togeth­er, and they lay claim to a cer­tain space as pub­lic space. Now, it would be eas­i­er to say that these demon­stra­tions or, indeed, these move­ments, are char­ac­ter­ized by bod­ies that come togeth­er to make a claim in pub­lic space, but that for­mu­la­tion pre­sumes that pub­lic space is giv­en, that it is already pub­lic, and rec­og­nized as such.“ ((Judith But­ler: Bod­ies in Alliance and the Pol­i­tics of the Street. In: Trans­ver­sal / EIPCP mul­ti­lin­gual web­jour­nal, 09, 2011))

Was ist es, das dieses Zusam­menkom­men von Kör­pern in der Wahrnehmung viel­er zum Umge­hen oder dem Phan­tas­ma eines neuen Gespen­sts macht? Wie ver­hal­ten sich die Kör­p­er, wie nutzen sie Raum, dass von diesem Ver­hal­ten auf die Emer­genz ein­er “neuen Protest­be­we­gung” geschlossen wird?

Für Prog­nosen und Bew­er­tun­gen der länger­fristi­gen und über­re­gionalen Bedeu­tung ist es zu früh, erst recht für die Einord­nung der Wirkung der Proteste in europäis­chen Innen­städten. Gegen­wär­tig ist festzuhal­ten: Sie wer­den als neuar­tig wahrgenom­men. Die lokalen Protest­be­we­gun­gen sind nicht als isolierte Phänomene einzel­ner Staat­en und Städte erk­lär­bar.

Zu Prak­tiken der Bewe­gun­gen zählen Block­aden und Beset­zun­gen von Verkauf­s­räu­men jen­er Konz­erne und Banken, die von der Regierung weitre­ichende Steuer­erle­ichterun­gen oder Hil­f­s­pakete bekom­men haben.

Nicht nur zen­trale urbane Plätze, son­dern immer neue Räume wer­den zu Schau­plätzen von Beset­zun­gen, die tem­porär alter­na­tive Nutzun­gen erzwin­gen und für die Dauer der Inbe­sitz­nahme zu Räu­men offen­er und öffentlich­er Ver­samm­lun­gen wer­den. Beispiel­haft dafür sind die Beset­zun­gen von Bank­fil­ialien durch die UK-Uncut-Bewe­gung. «UK Uncut» ste­ht für die seit dem Herb­st 2010 in Großbri­tan­nien aktive Protest­be­we­gung gegen die Steuer­erle­ichterun­gen für Reiche und Konz­erne sowie gegen Kürzun­gen des Staates im Sozial­bere­ich.

besetzte Bankfiliale in Cambridge am 26.2.2011
Abb. 1: Im Früh­jahr 2011 kommt es in ganz Großbri­tan­nien zu spon­ta­nen tem­porären Beset­zun­gen vor­wiegend von Bank­fil­ialien. Verkauf­s­räume wer­den für die Dauer der Beset­zun­gen, die via Flash­mobs ini­ti­iert wer­den, zu öffentlich zugänglichen Bib­lio­theken, Kindergärten und Schulk­lassen.

In einem glob­alen Lern­prozess wer­den Protest­prax­en, Tech­niken, Analy­sen, Ide­olo­gien und Bild­sprachen entwick­elt und weit­er gegeben. Inter­net, Social-Media-Plat­tfor­men, Smart­phones und neue For­men der Selb­stor­gan­i­sa­tion spie­len eine gewichtige Rolle neben bekan­nten Fak­toren wie sozialer Ungle­ich­heit, ökonomis­chen Bedin­gun­gen, poli­tis­ch­er Repres­sion.

Dem gegenüber ste­ht die Aufrüs­tung der staatlichen und kom­mu­nalen Sicher­heits- und Überwachungsap­pa­rate, die im gle­icher­maßen glob­alen Lern­prozess Know-how im Umgang mit den neuen Protest­be­we­gun­gen sam­meln. All diese Fak­toren wer­den in den Fol­ge­jahren des ereignis­re­ichen Jahres 2011 rel­e­vant bleiben oder rel­e­van­ter wer­den. Als Indika­toren für die Wahrschein­lichkeit kom­mender Auf­stände sprechen sie für die Prog­nose, dass zen­trale Plätze — und immer wieder neue Räume — auch weit­er­hin Schau­plätze neuer Proteste in west­lichen Metropolen sein wer­den.

Anonymous bei Stop the Slaughter in Palestine Demo
Abb 2: Das Foto stammt von ein­er «Stop the Slaugh­ter in Pales­tine»-Demo am 10. Jän­ner 2009 am Rande des Lon­don­er Hyde Park und hat organ­isatorisch oder poli­tisch mit „Anony­mous“ nichts zu tun. Die Form des Bildes mit Rah­men und Beschrif­tung ist die des “Moti­va­tion­als” und es han­delt sich um eine für diesen Text pro­duzierte Nach­bil­dung eines “Moti­va­tion­als” unter Ver­wen­dung eines Auss­chnitts des Bilds «Stop the Slaugh­ter in Pales­tine Demo- Anony­mous» von Loz Pycock (aufgenom­men am 10.1.2009 in Lon­don). Moti­va­tion­al-Poster wer­den online via Gen­er­a­tor-Web­sites erstellt und auf Image­boards wie 4chan, via Social Net­works Plat­tfor­men und Blogs ver­bre­it­et. Sie ste­hen für die virale Ver­bre­itung von Bildern nach dem Modus der Social Media. Sie sind Aus­druck ein­er demokratis­chen Aneig­nung der Bilder und ihrer Kon­tex­tu­al­isierung.

Die Zeichnung des Gespensts der wütenden BürgerInnen

Neben den Bildern von Protestieren­den und beset­zten Räu­men dominiert ein Bild die Wahrnehmung der neuen Protest­be­we­gun­gen. Feuil­leton und Medi­en im deutschsprachi­gen Raum geben dem Gespenst mit berech­nen­der Vor­liebe den Namen Wut­bürg­er. In der Regel im Sin­gu­lar, männlich. Der Erfind­er dieses Images, der Jour­nal­ist Dirk Kur­b­juweit, leit­et 2010 seinen gle­ich­nami­gen Essay im Nachricht­en­magazin Spiegel mit dem Satz ein:

Eine neue Gestalt macht sich wichtig in der deutschen Gesellschaft: Das ist der Wut­bürg­er.“ ((Dirk Kur­b­juweit: Der Wut­bürg­er. In: Der Spiegel, 2010, Nr. 41, S. 26))

Die Schmäh­schrift zeich­net einen alten bürg­er­lichen, mit «Hass» erfüll­ten, von «nack­ter Wut getriebe­nen» Mann, der sich «laut brül­lend» zu Wort meldet und «momen­tan alles dominiert». Orte, an denen dieser Wut­bürg­er auftritt, um «momen­tan alles zu dominieren», nen­nt der Essay drei und diese nur beiläu­fig: Demon­stra­tio­nen am Bauza­un in Stuttgart, die Münch­n­er Rei­thalle anlässlich ein­er Ver­anstal­tung mit Thi­lo Sar­razin und das Inter­net. Die Menge der Men­schen, die Kör­p­er im öffentlichen Raum, ihre Verteilung, ihr Zusam­men­spiel und ihre Bewe­gun­gen kom­men in der Beschrei­bung des neuen Phänomens nicht vor.

Abb. 3: Polizeieinsatz am Schwarze Donnerstag in Stuttgart
Abb. 3: Polizeiein­satz am «Schwarze Don­ner­stag» mit Pfef­fer­spray. Das tak­tis­che Medi­um fluegel.tv doku­men­tiert die Vorgänge per Live-Streams und mit der Samm­lung von online zur Ver­fü­gung gestell­ten Fotos.

In den Wochen vor dem Erscheinen des Essays am 11. Okto­ber 2010 sind es regelmäßig Zehn­tausende, die in der rund 600.000 Ein­wohner­In­nen zäh­len­den Stadt Stuttgart Straßen und Plätze für sich ein­nehmen. Die Vor­fälle des 30. Sep­tem­ber 2010 im Stuttgarter Schloß­garten gehen als «Schwarz­er Don­ner­stag» in die bun­des­deutsche Geschichte ein und machen Stuttgart zum Medi­en­großereig­nis. Das Foto eines durch­nässten älteren Her­ren, der von zwei anderen Män­nern gestützt wird, während Blut aus bei­den zugeschwol­lenen Augen rin­nt, ist in den Medi­en zu sehen und wird über­re­gion­al zum Sym­bol sowohl für die Protest­be­we­gung als auch für die Reak­tion von Seit­en der Staats­ge­walt.

In den Tagen danach, den unmit­tel­baren Tagen vor dem Erscheinen des Artikels in der Zeitschrift, sprechen die Ver­anstal­terIn­nen bei zwei Kundge­bun­gen vor über Hun­dert­tausend Protestieren­den. Es ist nicht abse­hbar, wie viele es noch wer­den kön­nen. Die Menge der Protestieren­den nimmt ten­den­ziell zu, obwohl die Proteste seit Monat­en andauern und die Beteili­gung alle Erwartun­gen über­trifft. Das Phänomen entzieht sich der Berechen­barkeit. Die Protest­be­we­gung fordert als unberechen­bares Phänomen umso mehr Aufmerk­samkeit ein, je länger die Menge der Per­so­n­en, die sich den Protesten im öffentlichen Raum anschließen, sukzes­sive zunimmt. Während der repres­sive Staat­sap­pa­rat mit seinen Mit­teln reagiert, kon­stru­iert der ide­ol­o­gis­che Staat­sap­pa­rat dif­famierende Images der Protestieren­den und Lesarten der Proteste.

Das Bild spontaner offener Versammlungen, «wo vorher nichts war»

Ein Jahr vor den Höhep­unk­ten der Stuttgarter Protest­be­we­gung bietet das Phänomen der Studieren­den­be­we­gung #uni­bren­nt ein ähn­lich­es Bild. Fünf Wochen lang nimmt die Zahl der beset­zten Hörsäle zu, bis aus­ge­hend von der Uni Wien der gesamte deutschsprachige Raum erfasst ist.

Das Bil­darchiv der #uni­bren­nt-Bewe­gung ist bis heute, das der S21 Protest­be­we­gung via fluegel.tv abruf­bar.

An den Protest­be­we­gun­gen von #uni­bren­nt und von Stuttgart lässt sich exem­plar­isch analysieren, wie neue Bewe­gun­gen ihre eige­nen tak­tis­chen Medi­en auf­bauen, das Bil­darchiv selb­st ver­wal­ten, damit die Bilder­ho­heit gegenüber den klas­sis­chen Medi­en haben und so zu bedeu­ten­den Stand­beinen der Bewe­gung wer­den.

Im Spätherb­st 2010 bre­it­et sich eine Protest­welle mit Großdemon­stra­tio­nen und Beset­zun­gen von Ver­wal­tungs­ge­bäu­den in Großbri­tan­nien aus. Nach dem 15. Mai 2011 ist in Spanien wochen­lang unab­se­hbar, welch­es Aus­maß die Bewe­gung der Indig­na­dos erre­ichen wird. In Eng­land ist mehrere Tage nach dem Aus­bruch der Krawalle in Tot­ten­ham am 6. August 2011 unklar, wie weit sich die Unruhen aus­bre­it­en wer­den. In Griechen­land kommt es bere­its seit Ende 2008 mehrfach zu schw­eren, mehrwöchi­gen Auss­chre­itun­gen, die von Athen aus auf weit­ere Städte über­greifen. Zeitweise wer­den 600 Schulen und einige Uni­ver­sitäten, 2010 wieder­holt Min­is­te­rien beset­zt.

Bei­de Phänome haben es über die Aufmerk­samkeitss­chwelle der Massen­me­di­en geschafft, für den «Riot Dog» existieren gar Wikipedia-Ein­träge.

Sowohl die Lon­don Riots als auch die Unruhen in Griechen­land wur­den von zwei pop­ulären Inter­net­phänomen begleit­et, dem Athen­er «Riot Dog» mit eigen­er Face­book-Seite, Blogs und Youtube-Clips seit 2008 sowie dem «Pho­to­shoploot­er»-Meme während der Unruhen in Eng­land. Die Phänomene sind in ihrer Struk­tur typ­isch für die viral selb­stor­gan­isierte, iro­nis­che Aneig­nung von Bildern und Nachricht­en. Dabei wer­den Bild­ma­te­ri­alien aus allen über das Inter­net zugänglichen Quellen bear­beit­et oder neu kon­tex­tu­al­isiert. Bilder wer­den über ver­schiedene Social-Media-Plat­tfor­men verteilt und neu kon­fig­uri­ert weit­er gegeben.

Alle diese Rebel­lio­nen erin­nern – wie die Ereignisse am Tahrir in den Tagen nach dem 25. Jan­u­ar 2011, im Capi­tol von Madi­son in Wis­con­sin in den Tagen nach dem 15. Feb­ru­ar 2011 oder bei Occu­py-Wall­street (#ows) in den Tagen nach dem 17. Sep­tem­ber 2011 – an Elias Canet­ti Schrift Masse und Macht:

Eine eben­so rät­sel­hafte wie uni­ver­sale Erschei­n­ung ist die Masse, die plöt­zlich da ist, wo vorher nichts war. [..] Es ist eine Entschlossen­heit in ihrer Bewe­gung, die sich vom Aus­druck gewöhn­lich­er Neugi­er sehr wohl unter­schei­det. Die Bewe­gung der einen, meint man, teilt sich den anderen mit, aber das allein ist es nicht: sie haben ein Ziel. Es ist da, bevor sie Worte dafür gefun­den haben.“ ((Elias Canet­ti: Masse und Macht [1960], Frank­furt am Main 1980, S. 14 u. 15))

Die so beschriebene Dynamik set­zt voraus, dass das Ziel nicht von vorn­here­in fest­ste­ht und dass es sich nicht um eine Ver­samm­lung von Men­schen han­delt, die Canet­ti als geschlossene Masse im Gegen­satz zur offe­nen Masse beze­ich­net. Ein gemein­sames Charak­ter­is­tikum jed­er Ver­samm­lun­gen von Men­schen der neuen Protest­be­we­gun­gen ist denn auch, dass sie offen und geduldig sind.

Abb. 4: Asamblea, Puerta del Sol, Madrid
Abb. 4: Die Asam­blea, hier am beset­zten Puer­ta del Sol in Madrid, ist für den Zus­trom weit­er­er Men­schen und die Teil­habe an der Diskus­sion der gemein­samen Angele­gen­heit­en offen. Die Offen­heit äußert sich auch in der Abwe­sen­heit der Sym­bole, Far­ben und «Uni­for­men» insti­tu­tion­al­isiert­er poli­tis­ch­er Organ­i­sa­tio­nen.

Die Ver­samm­lun­gen set­zen auf das Zusam­men­strö­men von Men­schen und auf die Prozesse, die dadurch evoziert wer­den: die von den vor Ort Anwe­senden selb­stor­gan­isierte Diskus­sion über ihre gemein­samen Angele­gen­heit­en und Anliegen.

For pol­i­tics to take place, the body must appear. I appear to oth­ers, and they appear to me, which means that some space between us allows each to appear. We are not sim­ply visu­al phe­nom­e­na for each oth­er – our voic­es must be reg­is­tered, and so we must be heard.“ ((Judith But­ler: Bod­ies in Alliance and the Pol­i­tics of the Street. In: Trans­ver­sal / EIPCP mul­ti­lin­gual web­jour­nal, 09, 2011))

Die Kör­p­er sind zudem die Bedin­gung für die Bilder. Die Bilder der inter­ve­nieren­den, sich Raum nehmenden Kör­p­er machen evi­dent, dass hier außergewöhn­lich­es passiert. Im dig­i­tal­en Zeital­ter erstreckt sich diese Sicht­barkeit auf das Inter­net. Bei der Ver­bre­itung der Bilder sind mehrere Kanäle sin­nvoll zu dif­feren­zieren:

  1. pro­fes­sionelle Bilder aus Print und Fernse­hen in Online-Medi­en,
  2. Weit­er­leitung und Rekon­tex­tu­al­isierung dieser Bilder aus pro­fes­sioneller Pro­duk­tion via Social Media,
  3. Ama­teur­bilder,
  4. Bilder von tak­tis­chen, in die Proteste einge­bet­ten Medi­en,
  5. Bilder, die vom pro­fes­sionellen Medi­en­sys­tem aufge­grif­f­en wer­den, weil sie in den Social Media des Inter­nets zu ein­er Sto­ry wer­den,
  6. Plat­tfor­men, die dem Spiel mit Bildern dienen und von denen sich virale Bilder­se­rien und ‑the­men in andere Kanäle ein­speisen.

Die Asam­blea, die Ver­samm­lung, ist ein kon­sti­tu­ieren­des Ele­ment, eben­so wie die Bedin­gung ihrer selb­stor­gan­isierten, basis­demokratis­chen Organ­i­sa­tion; Men­schen, die sich im gle­ichen Raum auf einan­der beziehen und den Prozess ein­er gemein­samen Debat­te begin­nen. Dieses Ele­ment ver­weist nicht nur auf anar­chis­tis­che und basis­demokratis­che Tra­di­tio­nen der neuen Bewe­gun­gen, son­dern im gle­ichen Maße auf in Onlinekom­mu­nika­tion gelebte Prax­en und die Net­zkul­tur. Der Prozess, was in und mit Ver­samm­lun­gen passiert, wie lange sie andauern, obliegt der laufend­en, selb­stor­gan­isierten Ausver­hand­lung der Anwe­senden. Die Kör­p­er, die sich im Zuge der aktuellen Protest­be­we­gun­gen zur gemein­samen Ver­samm­lung zusam­men find­en, machen zudem sicht­bar und vor Ort spür­bar, dass sie bleiben, dass dem begonnene Ver­samm­lung­sprozess und der Debat­te keine Ablauf­frist geset­zt wird. Damit bleibt offen, wie groß die Ver­samm­lun­gen und Massen wer­den.

Dass eine Gruppe mit ihren Kör­pern eine Ver­samm­lung im öffentlich zugänglichen Raum begin­nt, ist, eben­so wie die Offen­heit der Ver­samm­lung, nicht nur Ein­ladung zur Teil­habe, son­dern Bedin­gung für die Möglichkeit, dass eine kri­tis­che Masse zusam­men find­en kann, die Sog­wirkung entwick­elt. Eine weit­ere Bedin­gung beschreibt Canet­ti in sein­er Auto­bi­ografie:

Ich las im Kaf­fee­haus in Ober-St. Veit die Mor­gen­zeitung. Ich spüre noch die Empörung, die mich überkam, als ich die ‚Reich­spost’ in die Hand nahm; da stand als riesige Über­schrift: ‚Ein gerecht­es Urteil’“. Im Bur­gen­land war geschossen, Arbeit­er waren getötet wor­den. Das Gericht hat­te die Mörder freige­sprochen. […] Aus allen Bezirken Wiens zogen die Arbeit­er in geschlosse­nen Zügen vor den Jus­tiz­palast, der durch seinen bloßen Namen das Unrecht verkör­perte.“ ((Elias Canet­ti: Die Fack­el im Ohr. Lebens­geschichte 1921-193, München/Wien 1980))

Die Empörung, von der Canet­ti schreibt, ist heute der verbindende Name der Indig­na­dos-Bewe­gung.

Rückkehr der Verbotsmasse als politische Kraft

Trotz allen zahlen­mäßig großen Aktion­sta­gen der neuen Protest­be­we­gun­gen erscheint die Anzahl der Protestieren­den auf den diversen Schau­plätzen nicht außergewöhn­lich hoch. Das Phänomen der Masse ist nicht nur nicht neu, große Massen sind in unser­er europäis­chen Gesellschaft seit den 1930er-Jahren nicht mehr ver­schwun­den. Die Fasz­i­na­tion des neuen hat­te sie im fin de siè­cle als Gus­tave Le Bons «Die Psy­cholo­gie der Massen» 1895 erschien und noch in den ersten bei­den Jahrzehn­ten des 20. Jahrhun­derts. Heute kom­men bei Sportver­anstal­tun­gen, einem Karneval, der Love-Parade oder anderen Großver­anstal­tun­gen hun­dert­tausende und Mil­lio­nen Men­schen zusam­men.

Auch bei poli­tis­chen Großkundge­bun­gen gibt es immer wieder hun­dert­tausende Teil­nehmerIn­nen. Über Großdemon­stra­tio­nen des Europäis­chen Gew­erkschafts­bunds mit 300.000 Teil­nehmerIn­nen wird den­noch medi­al kaum berichtet. Die Bilder wirken bekan­nt, beliebig und aus­tauschbar: Die geord­nete Großdemon­stra­tion ist kein über­raschen­des Phänomen und ruft kaum Reak­tio­nen der staatlichen Repres­sions- oder Ide­olo­gieap­pa­rate her­vor. Der Demon­stra­tionszug find­et im rit­u­al­isierten, durch die Kon­ven­tion bes­timmten Rah­men statt: angemeldet und mit vorstruk­turi­ertem Zeit- und Ablauf­plan, wie ein Event der Freizeitin­dus­trie mit Ord­nern, Uni­for­men, Fan­abze­ichen, klar begren­zt und abgren­zend. Die Macht­demon­stra­tion ist ein­schätzbar. Es ist nicht nur erwart­bar, welche Räume genutzt wer­den, son­dern wann der Demon­stra­tionsauflauf abge­zo­gen ist, ohne Spuren zu hin­ter­lassen. An dieser Stelle sei erneut auf But­ler ver­wiesen:

We miss some­thing of the point of pub­lic demon­stra­tions, if we fail to see that the very pub­lic char­ac­ter of the space is being dis­put­ed and even fought over when these crowds gath­er.“

Wenn wir diesen Punkt sehen, soll­ten wir die daran anschließende Frage eben­falls nicht überse­hen. Wie weit geht in konkreten Fällen das Infragestellen, was wird nicht als strit­tig the­ma­tisiert, welche Vorstel­lun­gen und Kon­ven­tio­nen wer­den auch im Stre­it­fall repro­duziert?

Verge­gen­wär­ti­gen wir uns übliche, gewohnte, ergo rit­u­al­isierte Nutzun­gen zum Beispiel des Puer­ta del Sol in Madrid, so erscheinen fol­gende Bilder leicht vorstell­bar: Der Platz leer. Der Platz bevölk­ert von strö­menden TouristIn­nen oder Kon­sumentIn­nen. Der Platz tem­porär ges­per­rt und mit Feiern­den befüllt – etwa im Zuge eines Stadt­fests. Der Platz durch Wahlkampfwer­bung vere­in­nahmt, durch Bühne und Pub­likum beset­zt. Oder der Platz als Begeg­nungsraum und Bühne für all diese Nutzun­gen nebeneinan­der: TouristIn­nen, kon­sum­ierende Men­schen, eine Kundge­bung abhal­tende Men­schen und Ord­nungskräfte. Diese Nutzungs­for­men sind bekan­nt, find­en nach ausver­han­del­ten Regeln statt und passen sich als nicht störend in unsere Wahrnehmung der Stadt wie in die Medi­en­berichter­stat­tung ein. Wenn beim Karneval oder der Sieges­feier nach dem Sport­großereig­nis außer­halb dieser Rit­uale gel­tende Regeln ver­let­zt wer­den, sind das im Rah­men des Festes keine Regelver­let­zun­gen.

Die Nutzung von Plätzen und Raum durch die neuen Protest­be­we­gun­gen ver­läuft anders. Ablauf und Dauer der Ver­samm­lun­gen sind offen. Sie wer­den als neu und frem­dar­tig wahrgenom­men. Die men­schlichen Kör­p­er und Ein­rich­tung­steile wie Zelte drück­en aus, dass sich hier Men­schen Raum über die erwart­bare, kon­ven­tionelle Nutzung hin­aus nehmen. Sie ver­hal­ten sich nicht als Pas­san­tInnen oder TouristIn­nen son­dern nehmen den Platz in Besitz und ver­let­zen bewusst die herrschen­den Kon­ven­tio­nen. In der Sys­tem­atik Canet­tis sind die Asam­bleas der Indig­na­dos und der Ver­samm­lun­gen der Occu­py-Bewe­gung Ver­bots­massen. «Alle weigern sich zu tun, was eine äußere Welt von ihnen erwartet.» ((Elias Canet­ti: Masse und Macht [1960], Frank­furt am Main 1980, S. 14 u. 15))
Die Präsenz dieser sich unkon­ven­tionell ver­hal­tenden Kör­p­er macht die in Stre­it gestell­ten Kon­ven­tio­nen sicht­bar, wodurch sie gle­ichzeit­ig the­ma­tisiert wer­den. Das «Hand­buch der Kom­mu­nika­tion­s­gueril­la» beschreibt das nicht nur als ver­frem­den­des Spiel und als Ver­let­zung der kul­turellen Gram­matik, son­dern nen­nt solche Inter­ven­tio­nen eine Tech­nik im Arse­nal poli­tis­ch­er Hand­lung­sop­tio­nen. Durch die Anwen­dung dieser Tech­nik in ver­schiede­nen Städten und die Wieder­hol­ung über Tage, Wochen und Monate hin­aus, wird aus der Ver­let­zung der Kon­ven­tion selb­st eine neue Kon­ven­tion.

Abb. 5: Occupy Frankfurt vor der EZB
Abb. 5: Occu­py Frank­furt, das seit 15. Okto­ber 2011 ständig beset­zte Zelt­dorf im Angesicht der Europäis­chen Zen­tral­bank und der Glastürme der großen Finanzkonz­erne.

Eine Demokratisierung der Plätze

Ist die Ver­samm­lung dadurch etabliert, dass Kör­p­er einen zen­tralen Raum in Besitz nehmen, verbleiben die Men­schen auf dem Platz, über­nacht­en dort und bauen ihre autonome Infra­struk­tur auf. Die Präsenz der in All­t­agsrou­ti­nen inter­agieren­den Kör­p­er illus­tri­ert, dass diese momen­tan Anwe­senden die Regeln für diesen Gel­tungs-Raum bes­tim­men; sicht­bar in ihrem disku­tieren, kochen, essen, Vor­räte ver­wal­ten, Inter­views führen, Trans­par­ente fer­ti­gen, Bilder machen, in Medien­zen­tren ein- und aus­ge­hende Kom­mu­nika­tion organ­isieren, Müll ent­fer­nen, Ple­na abhal­ten und Beschlüsse fassen.
Die Gemeinde des Platzes (dēmos), bietet kaum das Bild eines Mobs, aber auch nicht das Bild ein­er ein­fachen, homo­ge­nen Masse. Die AktivistIn­nen organ­isieren das Gemein­we­sen eines Platzes, dif­feren­zieren arbeit­steilig Funk­tions­bere­iche aus. Es herrscht im wörtlichen Sinne Demokratie, nicht die abstrak­te repräsen­ta­tive Demokratie mit nation­al­staatlichem Gel­tungs­bere­ich, son­dern vor Ort konkrete Demokratie in einem klar begren­zten Gel­tungs­bere­ich.

Da die Bedürfnisse und Funk­tio­nen der wach­senden Gemeinde erfüllt und von der Bevölkerung des Platzes organ­isiert wer­den, bilden sich Gemein­we­sen, kleine (Zelt-)Städte in den Städten aus. Der Raum ist gegliedert in Funk­tion­sräume für Schlaf, Rück­zug, medi­zinis­che Ver­sorgung und Lager. Im Zen­trum liegen die Räume für die Ple­na, das Forum für die basis­demokratis­che Debat­te der öffentlichen Angele­gen­heit­en. Daneben existieren Begeg­nungsräume für dis­tanziert­ere, beobach­t­ende Par­tizipa­tion an den Debat­ten, Anlauf­stellen für die Infor­ma­tionsverteilung am Platz, Kom­mu­nika­tions- und Medien­zen­tren mit eigen­er tech­nis­ch­er Infra­struk­tur, eige­nen Medi­en­ak­tivistIn­nen und eigen­er Pressear­beit sowie Rück­zugsräume für Bil­dungsak­tiv­itäten, Work­shops, Besprechun­gen, die Ausar­beitung. Der­art selb­stor­gan­isierte Plätze inmit­ten zen­tral gele­gen­er öffentlich­er Räume, sind ein Labor dis­si­den­ter Selb­stor­gan­i­sa­tion als Stät­ten, auf denen Wider­stand als alltägliche Prax­is demon­stri­ert wird.

Das wichtig­ste ist Kom­mu­nika­tion. Die län­gere Beset­zung der Plätze dient mehr der Debat­te, der prinzip­iellen Diskus­sion gemein­samer Angele­gen­heit, als der Kundge­bung. Von den beset­zten Plätzen wie von umkämpften Räu­men ist immer wieder zu hören, dass es den AktivistIn­nen nicht darum geht, mit dem einen oder anderen Anliegen gehört zu wer­den.
Ziel der Protest­be­we­gun­gen ist so gut wie nie, in Ver­hand­lun­gen mit poli­tis­chen Entschei­dungsträgerIn­nen zu kom­men. In den Ver­samm­lun­gen wird mit Poli­tik selb­st exper­i­men­tiert und von Beginn an ein expliz­it ander­er Poli­tik­be­griff in den Mit­telpunkt gestellt. Im Zen­trum dieses Begriffs ste­ht die gemein­same, inklu­sive und offene Debat­te im öffentlichen Raum. Die Ver­samm­lun­gen, die in Besitz genomme­nen selb­stver­wal­teten Plätze, die selb­stor­gan­isierten alter­na­tiv­en Nutzun­gen der Räume sind radikale Gege­nen­twürfe. Die Beset­zerIn­nen wen­den sich nicht an das poli­tis­che Sys­tem, son­dern wen­den sich vom poli­tis­chen Sys­tem ab.

AktivistInnen von #ows in New York
Ein «Free Speech Zone» Schild bei #occu­py Wall­street. Da den AktivistIn­nen in New York die Nutzung von Mega­fo­nen unter­sagt wurde, wer­den Wort­mel­dun­gen ein­er Per­son von den Umste­hen­den laut im Chor Satz für Satz wieder­holt, damit die poli­tis­che Rede über die Beschränkung der einzel­nen men­schlichen Stimme hin­aus weit­er getra­gen wird. Zur laut­en Weit­er­leitung der eige­nen Stimme kann jede Per­son aufrufen, indem sie zweimal laut «Mic Check! Mic Check!» ruft.

Es ist ein sich wieder­holen­des und auf den Plätzen immer wieder konkret erfahrbares Missver­ständ­nis, Debat­te hier als Diskus­sion ein­er Sach­frage zu ver­ste­hen, die möglichst effizient, schnell und durch eine Abstim­mung legit­imiert, zu einem Ergeb­nis gebracht wer­den soll. Dieses Missver­ständ­nis kommt von außen und illus­tri­ert, wie unvorstell­bar und strit­tig es heutzu­tage ist, das Ide­al attis­ch­er Demokratie aus dem Kanon der Schul­bil­dung in die prak­tis­che Erfahrung der post­demokratis­chen Stadt zu über­tra­gen.

In der medi­alen Ver­bre­itung dominieren neben den Bildern man­i­fester Kon­flik­te zwis­chen AktivistIn­nen und Sicher­heit­skräften jene, die einen mit Kör­pern über­vollen Platz zeigen. Diese Bilder zeigen nicht die All­t­agssi­t­u­a­tion auf eben densel­ben Plätzen. Das symp­to­ma­tis­chere Bild für das neue Gespenst ist der Live-Stream der stun­den­lang andauern­den Debat­te eines offe­nen Plenums. Ein beschreiben­des Bild sind die Info­tis­che und Anschläge mit den Zwis­chen­stän­den von Debat­ten und Arbeits­grup­pen. Beze­ich­nend sind die Innen­leben der IT-Zelte und eige­nen Medien­zen­tren, die Kon­tenpunk­te, über welche die lokalen Debat­ten mit jenen auf anderen Plätzen und in anderen Räu­men ver­bun­den sind.

Ein Merk­mal der neuen Protest­be­we­gun­gen ist die Beset­zung von zen­tralen Plätzen und neu­ral­gis­chen Räu­men, um eben diese Räume als Stät­ten für öffentliche Debat­ten zu öff­nen. Der Raum wird geöffnet für die gemein­same Debat­te der Angele­gen­heit­en aller. Die Ver­samm­lun­gen sind inklu­siv und unbes­timmt. Sie set­zen die hier­ar­chis­chen, exk­ludieren­den Regeln herrschen­der poli­tis­ch­er Mei­n­ungs­bil­dung außer Kraft. Sie sind Ver­suche eines herrschafts­freien Diskurs­es.

Das Bild des Wut­bürg­ers zeich­net ein gegen­teiliges Bild. Der Kör­p­er des Wut­bürg­ers ist durch Wut verz­er­rt, blind vor Wut und gilt als unberechen­bar. Die Kon­struk­tion und bre­ite Per­pe­tu­ierung dieses Images wirft ein tre­f­fend­es Licht darauf, dass die herrschende Klasse besorgt ist und vor den offe­nen Ver­samm­lun­gen Angst hat. Der öffentliche Raum kön­nte — wieder — Bren­npunkt poli­tis­ch­er Debat­ten wer­den, die von Beginn an abseits des etablierten poli­tis­chen Sys­tems stat­tfind­en und in ihrem Ablauf und ihrer Sog­wirkung tat­säch­lich unberechen­bar sind.

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prekär

heute vor vier jahren

Die radikalste cäsur in meinen vier jahrzehn­ten leben, 13.3.2008. Vor drei und vor zwei jahren, habe ich dieses datum noch als meinen zweit­en geburt­stag emp­fun­den. Das tue ich nicht mehr. Zwei wochen vor dem datum war hirschwang. Zwei tage sem­i­nar­i­eren, mit lukas gemein­sam, vor 25 leuten. Sepp und Anna woll­ten kom­men und für ihre sendung prekär.tv auf okto mit­fil­men. Am abend zwis­chen erstem und zweit­en tag dann inter­view mit lukas und mir, in einem schumm­rig dun­klen club-raum zwis­chen sem­i­nar­raum und speis­esaal. Ich erin­nere mich daran, dort am boden gesessen zu sein, mit dem rück­en an das sofa, schwitzend. Ich weiß nicht warum ich mich an diese per­spek­tive mit so viel innerem nach­hall erin­nere. Der rück­en war ein grund, erk­lärt meine bis heute über­dauernde ver­störung aber in kein­er weise. Ich hat­te damals aufgegeben, der abschluss, das anste­hende es abschließen ist wie eine lange san­ft drück­ende und endlich nicht mehr kraftvoll und bes­timmt zurück­gewiesene gewis­sheit in mich ein­gesick­ert.