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SoZi 23|09: Legitimation betrifft nicht die Massen, sondern die Kader

… gestern Nacht beim Lesen von Immanuel Waller­steins berühmter Studie über diese Pas­sage gestolpert. Sie zeigt knapp und präzis einen entschei­den­des Kri­teri­um von Macht und Legit­im­ität an, das sich wohl auch bei Max Weber nir­gends so konzis dargestellt find­et.

Der erste rel­e­vante und banal erscheinende Schritt ist, Legit­im­ität als immer par­tielle Legit­im­ität zu begreifen:

Poli­tis­che Organ­is­men sind immer sta­bil­er, sofern sie wenig­stens par­tielle Legit­im­ität erre­ichen. In den Analy­sen über den Prozeß der Legit­i­ma­tion wird das Prob­lem oft eher ver­dunkelt, weil der Blick fast auss­chließlich auf das Ver­hält­nis von Regierun­gen zu der Masse der Bevölkerung gerichtet wird.

Die daran anschließen­den Sätze sind typ­is­che Beispiele Wallerstein’scher Nüchtern­heit. Sie erscheinen sarkastisch, wie von (schwarzem?) Humor getra­gen und sind doch eher nur nüchterne, von euphemistis­chen Anflü­gen freie Darstel­lung ((ich muss bei solchen Pas­sagen trotz­dem grin­sen …)):

Es ist fraglich, ob in der Geschichte der Men­schheit sehr viele Regierun­gen von der Mehrheit der­er, die von ihren Regierun­gen aus­ge­beutet, unter­drückt und mißhan­delt wur­den, für »legit­im« gehal­ten wur­den. Die Massen mögen sich ihrem Schick­sal über­lassen oder trotzig wider­spen­stig sein, sich über ihr zeitweiliges Woh­lerge­hen wun­dern oder sich aktiv auflehnen. Regierun­gen aber wer­den in der Regel ertra­gen, wed­er geschätzt noch bewun­dert, noch geliebt, noch nicht ein­mal unter­stützt.

Es fol­gt die ana­lytis­che Dif­ferenz:

Legit­i­ma­tion bet­rifft nicht die Massen, son­dern die Kad­er. Bei der Frage der poli­tis­chen Sta­bil­ität geht es darum, wieweit die kleine Gruppe der Leit­er der Staats­maschiner­ie die größere Gruppe des zen­tralen Stabes und der regionalen Poten­tat­en überzeu­gen kann, und zwar sowohl im Hin­blick darauf, daß das Regime auf der Grund­lage irgendwelch­er all­ge­mein­er Werte, deren Exis­tenz diesen Kadern glaub­haft gemacht wer­den kann, errichtet ist und funk­tion­iert, als auch, daß es im Inter­esse dieser Kad­er läge, wenn das Regime auch weit­er­hin ohne größere Störung funk­tion­iert. Wenn solche Umstände vorherrschen, kön­nen wir ein Regime »legit­im« nen­nen.

Der Kon­text diese Aus­flugs von Waller­stein in die Frage der poli­tis­chen Sta­bil­ität ist seine Analyse, inwieweit der Abso­lutismus als Abso­lutismus zu ver­ste­hen sei; näm­lich nicht als Sys­tem­beschrei­bung der Sozial­struk­tur son­dern als Ide­olo­gie.
Und inwieweit der Abso­lutismus als abso­lut ver­standen wer­den sollte. Dazu bringt er ua. diesen Ver­gle­ich ins Spiel:

In viel­er­lei Hin­sicht war die Macht des Königs sehr viel geringer als die der Exeku­tive in ein­er lib­eralen Demokratie des 20. Jahrhun­derts, trotz der insti­tu­tionellen und moralis­chen Beschränkun­gen, die es für let­ztere gibt. Denn der Staat­sap­pa­rat des 20. Jahrhun­derts ver­fügt über einen hohen Grad von Organ­i­sa­tion­ska­paz­ität, der die ver­mehrten Beschränkun­gen schon mehr als wettmacht. ((Btw., die Her­vorhe­bun­gen sind jew­eils von mir))

Waller­stein sagt hier also nicht weniger, als dass es in der heuti­gen lib­eralen Demokratieform west­lich­er Staat­en Dank der hohen Organ­i­sa­tion­ska­paz­ität der instru­mentellen Ratio­nal­ität: deut­lich mehr staatliche Repres­sion in der Sozial­struk­tur gibt als in z.B. absoluten Monar­chien des sagen wir mal 17. Jahrhun­derts.

Ich frage mich, wie eine Debat­te zwis­chen Fou­cault ((Pas­toral­macht, Biopoli­tik, Gou­verne­men­tal­ität, …)) und Waller­stein zu solchen Fra­gen aus­ge­se­hen hätte …

Jeden­falls denke ich – für mich –, dass ich diese Über­legun­gen und dass die ana­lytis­che Dif­ferenz samt dem Begriff der Organ­i­sa­tion­ska­paz­ität des Appa­rats gut in die his­torische Analyse von großen Organ­i­sa­tio­nen passt. Freilich darf hier nicht von einem vul­gären Dual­is­mus «Elite–Masse» zu einem Dual­is­mus «Elite–Kader» überge­gan­gen wer­den (den es schließlich auch gibt). Aber es ist lohnend, sich auf jed­er Ebene – der Eliten, der Kad­er, der Stäbe, der Bezugs­grup­pen usw. – anzuse­hen, wie es um die Organ­i­sa­tion­ska­paz­itäten der einzel­nen Grup­pen bestellt ist, und wie es um die Organ­i­sa­tionka­paz­itäten ein­er Gruppe in Bezug auf konkrete andere Bezugs­grup­pen bestellt ist.
(Wom­it ich wieder bei der Grup­pen­sozi­olo­gie gelandet wäre 🙂 )

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