Das Sonntags Zitat (SoZi) diesmal von einem der ganz wenigen Kritiker der bürgerlichen Bildung und der Schule:
Die Schule teilt die Menschen nach ihren Lebensaltern ein. Diese Einteilung beruhrt auf drei Voraussetzungen, die nicht in Frage gestellt werden. Kinder gehören in die Schule. Kinder lernen in der Schule. Nur in der Schule kann man die Kinder lehren. Diese einfach hingenommenen Voraussetzungen verdienen ernstlich in Frage gestellt zu werden.
Wir haben uns an Kinder gewöhnt. Wir haben beschlossen, daß sie zur Schule gehen, gehorchen und weder eigenes Einkommen noch eigene Familie haben sollten. Wir erwarten von ihnen, daß sie wissen, was sich gehört, und sich wie Kinder benehmen. Mit Sehnsucht oder Bitterkeit erinnern wir uns der zeit, als auch wir Kinder waren. Man erwartet von uns, daß wir das kindische Benehmen von Kindern hinnehmen. Fr uns ist die Menschheit eine Spezies, die zugleich dazu verdammt und damit gesegnet ist, für Kinder zu sorgen. Wir vergessen jedoch, daß unser heutiger Begriff «Kindheit» sich in Westeuropa erst in hängerer Zeit, in Amerika noch später herausgebildet hat. ((Ariès, Philippe: Geschichte der Kindheit))
Den meisten historischen Epochen war Kindheit – im Gegensatz zu Säuglingsalter, Entwicklungsjahren und Jugend – unbekannt. Einige christliche Jahrhunderte hatten nicht einmal einen Blick für die körperlichen Proportionen der Kinheit. Die Künstler stellten das kleine Kind als einen Mini-Erwachsenen auf dem Arm seiner Mutter dar. In Europa tauchten Kinder gleichzeitig mit den Taschenuhren und den christlichen Geldverleihern der Renaissance auf. Vor unserem Jahrhundert wußten weder Arme noch Reiche etwas von besonderer Kinderkleidung, Kinderspielen oder gesetzlicher Straffreiheit von Kindern. Das Stadium «Kindheit» gehörte zum Bürgertum. Das Arbeiterkind, das Bauernkind und das Kind des Edelmannes kleideten sich alle genau so wie ihre Väter, spielten ebenso wie ihre Väter und wurden wie ihre Väter gehängt.
aus: Illich, Ivan (1977 [1970]):
entschulung der gesellschaft. entwurf eines demokratischen bildungssystems, S. 39–40
—
httpv://www.youtube.com/watch?v=nTlUxNzt5Kw
—