Artikel für
CONTRASTE -
Zeitschrift für
Selbstorganisation
Februar 2017.
Liberalisierungen, Privatisierungen, PPPs, so erzwingt das Kapital seit Jahrzehnten neoliberalen Umbau. Mit dem Plattform-Kapitalismus hat es eine neue Front eröffnet. Von unten regt sich dagegen die Hoffnung auf einen Plattform-Kooperatismus. Der folgende Vorschlag setzt die Latte etwas höher an.
Ich darf ein Konzept vorstellen, das als tiefgreifendes utopisches Modell und weitreichende politische Forderung betrachtet werden kann. Es wurde bislang im kleinen Kreisen sowie bei zwei Veranstaltungen diskutiert und hat den Namen »liquid autonomy« verpasst bekommen. Es geht um nicht weniger als die Selbstregierung öffentlicher Güter von unten, und zwar in vielen Aspekten auf vielen Ebenen. Drei Aspekte davon sollen hier kurz ausführt werden: mehr Demokratie, mehr Raum abseits von Markt und Staat, mehr Sicherheit und Selbstbestimmung in unser aller Daseinsvorsorge.
Kein Stück vom Kuchen, die Bäckerei
Wir diskutieren immer wieder über Partizipation, Politikverdrossenheit, Demokratie. Ohne hier auf unsere Begriffe von Politik und Demokratie eingehen zu können, möchte ich zumindest das mit der Partizipation etwas wenden. Die Forderung nach mehr Partizipationsmöglichkeiten hat zu sehr etwas von einem Ersuchen, das jene anmelden, die die Ressourcen haben, etwas Beteiligung einbringen zu können. Der Begriff der Teilhabe kommt im Ton schon etwas selbstbewusster, einfordernder und konkreter daher. In der Forderung nach Wirtschaftsdemokratie ginge es um Teilhabe aller, die Anteil an der Arbeit in einem Unternehmen haben; Anteil am Management, an der Steuerung, an der Regierung. Das und noch mehr will liquid autonomy, nämlich die vollständige, autonome und ständige Regierung von X durch alle Teilhabenden an X.
Die Mittel dazu haben wir bereits. Wenn das Internet für die Industrie4.0 Plattform zur vernetzten Steuerung globaler Konzerne werden kann, wenn über Plattformen im Internet ganze Operationsbereiche der Gesellschaft disruptiv zerschlagen und neu regiert werden, wenn wir umgekehrt die Plattform des world wide web dazu nutzen können, uns als soziale Bewegungen und unser freies Wissen neu zu organisieren, dann können wir auch die Organisationseinheiten der Daseinsvorsorge plattformunterstützt selbst regieren.
Das könnte das öffentlich-rechtliche Medienunternehmen sein, eine Universität, die Bahn, ein Stromversorger, Telekomanbieter oder der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, für den Selbstverwaltung immerhin gesetzlich vorgeschrieben ist. Formal sind diese Unternehmen in der Regel unabhängig, ausgegliedert, »in die Autonomie übergeführt«. In der Realität sind sie dem Einfluss der politischen Regierungen und des Markts unterworfen.
Warum übernehmen wir die Steuerung dieser Unternehmen, die öffentliche Güter und Infrastruktur verwalten, aber nicht selbst? Warum sollte eine Privatisierung nicht die Wendung in die Selbstverwaltung bekommen? Kollektivierung an Stelle neoliberaler Privatisierung?
Kollektivierung in der digitaler Gesellschaft
Selbstverwaltung von unten scheint eine große Hürde aufzuweisen, die sofort überall als Gegenargument geführt wird: Sie sei desto aufwendiger, desto komplizierter und langsamer, je größer die Organisation ist. Es brauche dann mehr Hierarchie, hauptamtliche Entscheidungsträger_innen, einen professionellen Stab. Dass die Realität des Internets hier neue Zugänge bieten könnte, liegt auf der Hand. Binnen eines Jahrzehnts ist das Organisationsprinzip der »Soziale Netzwerke«-Plattformen zum gesellschaftlichen Faktor geworden.
Nun ist es ein Problem, dass die Plattformen in der Hand weniger privater Unternehmen liegen. Das Problem liegt jedoch ausschließlich in der Eigentumsfrage und nicht im Prinzip der digitalen Plattformen vernetzter Benutzer_innen. Denken wir an die Plattform nicht als Außen, als Dienstleistung eines privaten Unternehmens, über das wir keine Kontrolle haben, sondern als Innen, als Betriebsmittel unseres kollektivierten, selbstregierten Unternehmens, würde es anders aussehen. Der Code der Plattform, Server, Daten … alles wäre in unserem Besitz und Gegenstand der Mitbestimmung.
Regelwerk für die laufende Selbstverwaltung
Das Konzept der liquid autonomy basiert auf dem Bereitstellen einer digitalen Plattform. Zweitens fordert es, dass alle Teilhabenden gleichrangigen Zugang zur Plattform haben. Teilhabende sind im und für das Unternehmen Arbeitende sowie die Nutzer_innen, vormals Kund_innen, jetzt Teilhaber_innen. In Anlehnung an das liquid democracy-Konzept gibt es differenzierte Optionen der Delegation. Die Plattform hat Soziale Netzwerk-Funktionalität, ermöglicht also allen direkte Beziehungen ohne Umweg über oder Kontrolle durch eine vermittelnde Instanz.
Liquid autonomy sieht weiters vier Säulen autonomer Selbstregierung vor, nach denen die Funktionalität der Plattform gebaut wird: Deliberation, Kontrolle, Strategie und Personal. Die Säule der Deliberation steht im Kern für allgemeine Debatte. Moderation ebenso redaktionelles Aufarbeiten der Kommunikation gehören zu den qualitativ und quantitativ aufgewerteten Aufgaben im Unternehmen. In die Säule der Kontrolle fällt das Berichtswesen, die Rechenschaftsregeln. Das Ziel ist ein ausgewogenes Verhältnis der checks‘n‘balances, die Vermeidung von Informationsausschlüssen als Machtinstrument. Mit der Strategie-Säule werden kollektive Richtungsentscheidungen und über die Personal-Säule anstehende Personalentscheidungen operationalisiert.
Nun stelle mensch sich das im großen Stil vor. Unsere gesamte Daseinsvorsorge derart in autonomen Unternehmen von unten regiert. Zusammen ein robustes System eigener Logik abseits von Staat und Markt ergebend, mit klaren Interessen und uns allen als Interessensvertreter_innen.