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medienkritik politisch

Ach was muss ich oft von bösen Frauen hören oder lesen!

[ich veröf­fentliche hier – mit Erlaub­nis des Autors
und einem zweifachen Dankeschön mein­er­seits ((Danke erstens für den Text, näm­lich inhaltlich und vor allem dafür, DASS er geschrieben wurde. Ich habe ihn weit­ergeleit­et bekom­men, er scheint seine Run­den gemacht zu haben. Ich habe den Autor ange­mailt, ob er son­st irgend­wo veröf­fentlicht ist und ob ich ihn, wenn nicht, im kellerabteil2.0 veröf­fentlichen darf. Dank also zweit­ens für das Zur Ver­fü­gung Stellen. >lg chr.)) –
einen Leser­brief von Jochen Kugler an den Fal­ter ((Jochen Kugler hat den Leser­brief für den Fal­ter ver­fasst, der sich mit den “Grü­nen Kas­tra­tionsäng­sten” in Nina Horaceks Kom­men­tar zur Causa Voggen­hu­ber, das “Frauen­prob­lem” und den Grü­nen Män­nern beschäftigt. Da der Leser­brief durch die starke Kürzung sehr an Bedeu­tung und Inhalt ver­loren hat, wurde er in voller Länge über andere Wege ver­bre­it­ete.))]

Nina Horaczeks Kom­men­tar (“Jet­zt lei­den selb­st grüne Soft­ies unter Kas­tra­tions-Äng­sten”) im Fal­ter 25/09 hat wieder heftig in ein­er schmerzen­den Wunde gebohrt:
Seit der unsäglichen Diskus­sion um Voggen­hu­bers “Nicht-Wahl” quälen mich als Grün­er, emanzip­iert­er, fem­i­nis­tis­ch­er und (sic!) selb­st­be­wusster Mann ständig die sel­ben Fra­gen:

Warum muss ich mich damit abfind­en, dass intel­li­gente, reflex­ive und durch­dachte Kom­mentare zur Causa Pri­ma auss­chließlich von Frauen kom­men?
Warum kom­men alle jen­seit­i­gen, belei­digten, unre­flek­tierten Kom­mentare auss­chließlich von Män­nern?

Was sagt es uns, dass die richtig belei­digten, wehlei­di­gen und unre­flek­tierten Kom­mentare mit ein­er erstaunlichen Häu­figkeit von “aufgeschlosse­nen” Män­nern in der Nähe ihrer 50er kom­men?
Kön­nte es sein, dass hier jeMAN­N­dem im Zweifels­fall doch eher die Ego-Jacke näher als das Gle­ich­berech­ti­gungs-Hemd ist? Dass hier Men­schen, nein sprechen wir es aus, MÄNNER, schön in der 68er Frauen-Gle­ich­berech­ti­gungs-Bewe­gung mit geschwom­men sind, sich ihre Posten mit wohlmeinen­den Parolen gesichert haben und nun die Panik bekom­men, weil sie den Zahlt­ag wit­tern?

Es ist doch unglaublich: Wie keine andere Partei set­zen sich die Grü­nen seit Jahren für die echte Gle­ich­berech­ti­gung der Geschlechter ein. Bis vor kurzem an ihrer (medi­alen) Spitze Van der Bellen, Voggen­hu­ber, Pilz, Chorherr, Kogler, … Lauter Män­ner? Tja, nein, da gibt es doch auch noch …

Die “lib­eralen” Blät­ter unseres Lan­des unter­stützen die Grü­nen natür­lich in Ihren Anliegen. Die Chefredak­tio­nen und Chefkom­men­ta­toren dieser Blät­ter: über­wiegend Män­ner? Ups, das kann doch nur ein Zufall sein, oder? Aber für die “Frauen­sache” kann MANN doch auch sein, oder? Doch! Kön­nten Mann. Müsste Mann.

Die anderen Parteien erge­hen sich in Sol­i­dar­itäts­bekun­dun­gen, weil: Gle­ich­berech­ti­gung ist auf jeden Fall wichtig. Klar! Aber zwin­gen? Nein, zwin­gen kön­nen wir natür­lich nie­man­den zu irgen­det­was. Parteispitze, Klubob­män­ner (!), Spitzenkan­di­dat­en für Nation­al­rat wie Europäis­ches Par­la­ment bei SPÖ, ÖVP, FPÖ, BZÖ — beina­he auss­chließlich Män­ner? Tja, so ist das halt mit der Poli­tik. Da ist es ein­fach schw­er, qual­i­fizierte Frauen zu find­en, für diesen harten und schmutzi­gen Job.
Sieht mann ja: Die Frauen, die sich das antun, wer­den dann “frus­tri­ert” und “gehen auf die Män­ner” los.

So weit die Vorgeschichte. Was ist dann passiert?
Da leis­ten sich die Grü­nen doch echt den Luxus ihrer Liste für die Europawahlen wirk­lich demokratisch wählen zu lassen und nicht (von Män­nern?) in geheimen Parteizirkeln. Und da treten dann unter anderem 3 Kan­di­datin­nen (Lunacek, Licht­eneg­ger, Vana) und ein Kan­di­dat (Voggen­hu­ber) an. Alle­samt ver­sierte und engagierte Europa­poli­tik­erIn­nen. Alle (oder zumin­d­est zwei) wollen Spitzenkan­di­datIn wer­den. Und dann wählen über 200 anwe­senden Men­schen (Männlein wie Weiblein, die berühmte “kri­tis­che Basis”), dass sie Lunacek gerne auf Platz 1 hät­ten.
Voggen­hu­ber hat diese Abstim­mung ver­loren. Die nor­male (weib­liche?) Reak­tion: Nieder­lage ver­schmerzen, für Platz 2 kan­di­dieren, sich für die gemein­same Sache zurück­nehmen und (mit an Sicher­heit gren­zen­der Wahrschein­lichkeit) wieder ins EU-Par­la­ment einziehen.

Aber: in welch­er Welt lebe ich denn? Wir reden hier von Voggen­hu­ber. Der ist nicht irgen­dein Poli­tik­er! Er ist die EU. Er ist die Grü­nen! Und er ist: ein Mann! Und der kann – das geht ja schon mal gar nicht – auf Platz 2 kan­di­dieren! Wie soll sein Ego das verkraften?
Da muss wutent­bran­nt abge­zo­gen wer­den. Da muss die Öffentlichkeit informiert wer­den, über die Machen­schaften der Parteispitze (Natür­lich: die FRAUEN!), die Intri­gen der Partei gegen den “Unbe­que­men”, die Machtüber­nahme der Frauen bei den Grü­nen. Das “Ende” der Män­ner bei den Grü­nen. 🙄 Da muss sofort Vor­sorge getrof­fen wer­den, die unglaubliche falsche und natür­lich gelenk­te Wahl zu kor­rigieren. Am besten damit, dass mann die Prob­leme medi­al aufzeigt und danach auf das demokratis­che Mit­tel der Vorzugsstim­men set­zt (und ein klein wenig auf medi­ale Erpres­sung der Partei. Aber wo geho­belt wird, …)

Natür­lich – Ver­sprochen! – ohne Schmutzkam­pagne gegen die eigene Partei. Wir sitzen doch alle im sel­ben Boot, oder? Und ohne Voggen­hu­ber – das weiß nie­mand bess­er als Voggen­hu­ber – wer­den wir darin unterge­hen.

Die Aufgeschlossen­heit der aufgeschlosse­nen Medi­en
Das geht natür­lich nicht. Da sprin­gen dann die “links-lib­eralen Medi­en” ein. Da müssen die Män­ner in diesen Medi­en vor. Da müssen die “strate­gis­chen Prob­leme” besprochen wer­den, die die Grü­nen mit ein­er “auss­chließlichen Frauen­spitze” haben. Stelle sich nur ein­er vor: da sitzen doch tat­säch­lich an der Partei- UND an der EU-Spitze der Grü­nen AUSSCHLIESSLICH Frauen. Da wer­den ver­di­ente, “unbe­queme” Män­ner ein­fach “entsorgt”, schlicht weil sie “keine Tit­ten” haben (was ja – wie wir zufäl­lig von einem Mann erfahren haben – als Qual­i­fika­tion nicht aus­re­icht).
Natür­lich wurde “der Mann” nicht “entsorgt”, weil er sich in ein­er Frage (EU-Refor­mver­trag ohne Wenn und Aber) zu sehr exponiert hat­te und dafür keine Mehrheit als Spitzenkan­di­dat gefun­den hat­te.

Gle­ich­berech­ti­gung sei ja wirk­lich wichtig (so die wohlmeinen­den Kom­men­ta­toren). Aber was “die Grü­nen Frauen” hier mit dem armen und allerbesten Johannes Voggen­hu­ber gemacht haben, das geht ja wohl wirk­lich nicht! Das wird den Grü­nen noch auf den Kopf fall­en. Das wer­den wir euch so lange ins medi­ale Stamm­buch schreiben, bis es auch die let­zten Grün­wäh­ler glauben. Als Team antreten? Voggen­hu­bers EU-Kom­pe­tenz mit Lunaceks Erfahrung als Sprecherin der Europäis­chen Grü­nen zusam­men­tun? Pah! Schmecks!
Wer nicht für mich ist, ist gegen mich!

Also welche Dynamiken sind hier am wirken?
Kann mich irgend­je­mand vor mein­er Analyse ret­ten, dass das alles Parade­fälle “männlich­er Ver­hal­tensweise” sind? Kann mich irgend­je­mand vom Gedanken abbrin­gen, dass Frauen so etwas nicht tun wür­den?
Kann mir irgend­je­mand aus dem moralis­chen Dilem­ma befreien, dass die “Besser­wiss­er”, denen die Angst vor Machtver­lust aus jed­er Kör­per­pore dringt, fast auss­chließlich Män­ner waren und sind? Sei es grün-intern (Voggen­hu­ber, Pilz, Chorherr, Van der Bellen) oder von Seit­en der “wohlwol­len­den Öffentlichkeit” (von Rausch­er bis – ja ich kann es nicht aus­nehmen – Armin Thurn­herr)?

Kann mit bitte jemand erk­lären, warum (auch bei den Grü­nen) immer nur die Män­ner Mord und Totschlag schreien, wenn sie eine interne Wahl ver­lieren. Oder kön­nen Sie sich an medi­ale Kam­pag­nen von Ulrike Lunacek erin­nern, als sie in den let­zten Jahren nicht Spitzenkan­di­datin für die EU wurde? Kön­nen Sie sich an medi­ale Diskurse über die auss­chließlich männliche Parteispitze der Grü­nen erin­nern (Van der Bellen in Ö und Voggen­hu­ber in der EU) als die Grü­nen Ver­luste bei der let­zten NR-Wahl ein­fuhren? Hat jemand über männliche Ver­schwörun­gen beim Wech­sel von Petro­vic auf Van der Bellen gesprochen?

Und kann mir bitte jemand erk­lären, warum sich bis dato kein einziger Mann gefun­den hat, der diese Unglaublichkeit­en der “alten Män­ner” kom­men­tiert? Kein Grün­er, kein Link­er, kein “lib­eraler Jour­nal­ist”.
Warum die “linken Män­ner” hier besten­falls schweigen, und es den “linken Frauen” über­lassen, die Dinge auf den Punkt zu brin­gen?
Jenen Frauen, denen mann dann get­rost “zwis­chen den Zeilen” mit­teilen kann, dass sie ja “nur Prob­leme mit den Män­ner” haben?

Kann es sein, dass es wirk­lich auss­chließlich Auf­gabe der Frauen ist, darauf hinzuweisen, dass die Machtzen­tren ALLER öster­re­ichis­chen Parteien außer der Grü­nen auss­chließlich von Män­ner gelenkt wer­den (SPÖ: Kan­zler, EU-Del­e­ga­tions-Spitze, Klubob­mann, alle wichti­gen Min­is­ter, ÖVP: Vizekan­zler, Klubob­mann, Parte­ichef, EU-Del­e­ga­tions-Spitze, von F und BZÖ wollen wir hier gar nicht reden)?
Und dass es in diesem Zusam­men­hang schon einem gerüt­tel­ten Maß (männlich­er) Unver­froren­heit bedarf, um ern­sthaft das “Prob­lem” von zwei Frauen in Spitzen­funk­tio­nen bei den Grü­nen medi­al zu disku­tieren?

Es wird weh tun. Und es wird gut sein!
Ja liebe Män­ner, gle­iche Rechte und gle­ich­er Lohn, gle­iche Teil­habe und gle­iche Macht für Män­ner und Frauen müssen selb­stver­ständliche Forderun­gen aller aufgek­lärter Men­schen sein. Und:
Ja, liebe Män­ner, das wird bei uns zu Machtver­lust führen!

Ja, die Frauen wer­den nicht aufhören ihre Rechte ein­fordern. Aber wir wer­den auf selb­stver­ständlich geglaubte Macht­po­si­tio­nen verzicht­en müssen. Es wird schmerzen. Es wird nicht toll sein. Aber es wird sich lohnen. Spätestens wenn unsere Kindern (Töchter wie Söhne) uns als Väter ein­mal fra­gen, was wir eigentlich damals getan haben, als Chefe­ta­gen, Auf­sicht­sräte, Parteivorstände, Pro­fes­suren, Chefredak­tio­nen, Gew­erkschaften und Inter­essen­vertre­tun­gen – schlicht alle Macht­gremien unseres Lan­des – von Män­nern beset­zt waren. Damals …

Jochen Kugler
Ehe­ma­liger Sozial­ref­er­ent der Wr. Grü­nen
Einziger männlich­er Sozi­ologe in einem anson­sten weib­lichen Forschung­steam

2 Antworten auf „Ach was muss ich oft von bösen Frauen hören oder lesen!“

Danke! Es ist wirk­lich unfass­bar, wie hier der Sex­is­mus zu Tage tritt. Es ist aber auch für die hiesige #diskus­sion­skul­tur beze­ich­nend, wie in dieser Debat­te sach­liche und emo­tionale Argu­mente munter zusam­mengewür­felt wer­den:

Auf der einen Seite gefüh­liger Sex­is­mus: Nur Frauen, irgend­wie kann das nur schlecht sein. Auf der anderen Seite ist es aber auch beze­ich­nend, wie mit einem unbe­que­men Kri­tik­er umge­gan­gen wird: Er wird auf sein Unbe­quem-sein reduziert, die Kri­tik wird gerne außen vor gelassen. Wird das Urteil eines Gremi­ums — das ja nicht unfehlbar sein muss — in Frage gestellt, weiß man gle­ich, woran man ist: da muss ein­er belei­digt sein. Dass es sach­liche Gründe für die nach­drück­liche Oppo­si­tion gegen eine solche Entschei­dung (hier: Posi­tion­ierung zum EU-Refor­mver­trag) geben kann, muss man, auch und ger­ade in der medi­alen Berichter­stat­tung, zwis­chen den Zeilen her­ausle­sen.

Anstatt also den Stre­it mit Argu­menten auf der inhaltlichen Ebene offen auszu­tra­gen, erge­hen sich die einen in Wehlei­digkeit­en (alle im sel­ben Boot, wir soll­ten doch an einem Strang ziehen, men­schlich ent­täuscht etc) und die anderen spie­len Rumpel­stilzchen und gießen Öl ins Feuer, wo sie kön­nen. An allen Eck­en und Enden fehlt es am Willen zur Sach­lichkeit, zur ana­lytis­chen inhaltlichen Auseinan­der­set­zung, in der per­sön­liche Ani­mositäten und emo­tionale Befind­lichkeit­en möglichst aus­geklam­mert wer­den. Und am Ende wun­dern sich dann alle Beteiligten, warum nie­mand weiß, wer wofür ste­ht.

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