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SoZi 13|09: Das Leben der Bilder

Zum abschluss der woche 13 hätte ein kurzes, einiger­maßen berühmtes und auf fet­zig machen­des zitat gepasst, va. weil the­ma­tisch die let­zten ein­trä­gen hier im kellerabteil2.o ide­al rah­mend; die beiträge:
zum ‘degoutan­ten Poseur Fleis­chhack­er’ und sein­er unäs­thetis­chen, auf ästhetiken auf­set­zen­den pein­lichkeit ein­er­seits,
sowie zu den Fotos von der Demo der anson­sten in der Öffentlichkeit der Stadt kaum repräsen­tierten Organ­i­sa­tio­nen, Grup­pen und Men­schen ander­er­seits.

Allerd­ings hab’ ich das zitat von Bau­drillard, das mir da vorschwebt, schon vor 1½ jahren im keller­a­bteil abgelegt. Den ein­trag hab’ ich anlässlich dessen ger­ade wiederge­fun­den. Und siehe, er passt auf heute sog­ar noch bess­er als auf damals. Han­delt er doch — fast prophetisch — von der:
Wieder­auf­führung eines Klas­sik­ers. 😉

Damit nun aber zum aktuellen SoZi der Woche 13:

Ich nehme an, dass es möglich ist, sich Objek­te vorzustellen, die «aus sich selb­st her­aus» für anstößig gehal­ten wer­den, ohne dass sie der einen oder anderen Form von Repräsen­ta­tion oder Präsen­ta­tion bedür­fen, um Aufmerk­samkeit zu  erre­gen. Exkre­mente, Müll, Gen­i­tal­ien, Leich­name, Unge­heuer und der­gle­ichen wer­den oft als Dinge erachtet, die an sich ekel­er­re­gend oder anstößig sind. Was mich nun inter­essiert, ist der Moment, in dem uns der­ar­tige Dinge in irgen­dein­er mündlichen oder visuellen, dargestell­ten oder ver­mit­tel­ten Form bewusst vorge­set­zt wer­den. Es ist dies der Augen­blick, an dem anstößige (oder harm­lose) Objek­te, indem sie abge­bildet, repro­duziert, beschriftet, aufge­zo­gen, insze­niert und zum Zwecke des Zur-Schau-Stel­lens umrahmt wer­den, in etwas Anderes umgestal­tet wer­den. Die Frage nach dem Objekt kommt also immer auf das Bild zurück, und wir müssen daher weit­er­hin danach fra­gen, was genau es ist, das den Bildern solch eine erstaunliche Macht ver­lei­ht, Men­schen so sehr in Zorn ver­set­zen zu kön­nen.[..] Was ist es, das die Men­schen so empfänglich dafür macht, sich von Bildern belei­di­gen zu lassen? Und warum zeigt sich die Reak­tion auf das anstößige Bild so oft als ein umgekehrter Gewal­takt, als ein «Angreifen des Bildes» dadurch, dass es zer­stört, mutwillig beschädigt oder dem Blick ent­zo­gen wird? [..] Was bringt uns dazu zu glauben, dass das «Angreifen der Bilder» eine gute Möglichkeit ist, mit ihnen umzuge­hen? Welche Annah­men machen dieses Art des Ver­hal­tens über­haupt erst ver­ständlich?

Wenn Men­schen gegen Bilder vorge­hen, scheinen zwei Überzeu­gun­gen im Spiel zu sein. Die erste rührt daher, dass das Bild offen­sichtlich und unmit­tel­bar mit dem in Verbindung gebracht wird, was es darstellt. Was auch immer dem Bild ange­tan wird, wird in gewiss­er Weise auch dem ange­tan, für das es ste­ht.
Die zweite hat damit zu tun, dass das Bild einen gewis­sen vital­en, lebendi­gen Charak­ter besitzt, der es befähigt, das zu fühlen, was ihm zuge­fügt wird. Es ist nicht bloß ein trans­par­entes Medi­um, mit dem eine Botschaft kom­mu­niziert wer­den kann, son­dern es ist so etwas wie ein beseeltes, lebendi­ges Ding, ein Objekt, das mit Gefühlen, Inten­tio­nen, Begier­den und Tatkraft aus­ges­tat­tet ist. In der Tat wer­den Bilder manch­mal wie Pseu­do-Per­so­n­en behan­delt — nicht bloß wie empfind­ungs­fähige Geschöpfe, die Schmerz fühlen und Freude empfind­en kön­nen, son­der wie ver­ant­wor­tungsvolle und ansprech­bare, soziale Wesen. Der­ar­tige Bilder scheinen auf uns zurück­zublick­en, sie scheinen zu uns zu sprechen, sie scheinen gar fähig zu sein, Leid zu ertra­gen oder, sobald ihnen Gewalt ange­tan wird, dieses auf ger­adezu magis­che Weise zu über­tra­gen.

Wie wir bere­its fest­gestellt haben, wird diese magis­che Vorstel­lung von Bildern oft so geschildert, als han­delte es sich bei ihr um etwas, aus dem wir längst her­aus­gewach­sen sind — um einen vor­mod­er­nen Sachver­halt, einen Aber­glauben, der nur in tief religiösen Gemein­schaften zu find­en ist oder in den soge­nan­nten prim­i­tiv­en Kul­turen, die von der Eth­nolo­gie erforscht wer­den. Oder sie wird in Form eines «Halb-Glauben» zum Aus­druck gebracht, der gle­ichzeit­ig bekräftigt und ver­leugnet wird.
Ich hoffe, es ver­ste­ht sich in diesem Zusam­men­hang von selb­st, dass es zwar bedeu­tende his­torische und kul­turelle Unter­schiede ijm Hin­blick auf die Macht gibt, die Bildern zugeschrieben wird, dass aber die Nei­gung, Bildern Leben und Unmit­tel­barkeit einzuhauchen (um das sodann zu leug­nen oder auf jemand anderen zu pro­jizieren), grundle­gend für die Ontolo­gie der Bilder schlechthin ist bzw. für eine Lebens­form, die sich als das «Zusam­men­sein mit Bildern» beze­ich­nen ließe. Mod­erne, urbane Kul­turen mögen nicht über viele Heili­genkulte oder heilige Iko­nen ver­fü­gen, doch besitzen sie einen reichen Vor­rat an magis­chen Bildern — Fetis­che, Idole sowie Totems jed­wed­er Art, die in den Massen­me­di­en wie auch in ein­er Vielzahl von Sub­kul­turen wieder­belebt wer­den. [..] Und wenn uns Bilder kränken, nehmen wir noch immer dadurch Rache, dass wir sie im Gegen­zug ange­hen. Vilder sind im mod­er­nen Zeital­ter keineswegs geschwächt [..] und gehören zu den­jeni­gen Gegen­stän­den, die sich am schwierig­sten durch Geset­ze und ratio­nal kon­stru­ierte Strate­gien reg­ulieren lassen. [..]

Zum Teil hängt die Wider­spen­stigkeit anstößiger Bilder mit ihrem Hang zusam­men, sich an den Frontlin­ien sozialer wie poli­tis­ch­er Kon­flik­therde anzusiedeln …

… aus Mitchell, W.J.T. (2008 [2005]):
Das Leben der Bilder. Eine The­o­rie der visuellen Kul­tur; S. 106–109

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