Hallo, wir haben wieder ein Date mit dem Spindoktor!
Im Eintrag ‘Den Nachrichten einen Spin geben’ – vor einem Monat hier im Kellerabteil – wurde bereits einmal auf des Spindoktor Blog hingewiesen. Mittlerweile sind dort weitere schöne Fallbeispiele vorgeführt worden, so dass ich diese BlogEmpfehlung erneuern muss.
Anlass für diesen heutigen Eintrag sind allerdings nicht nur die Beispiele des Spindoktor-Blogs. Ich möchte ein paar Passagen aus einen amüsanten und interessanten Artikel der aktuellen LE MONDE diplomatique zititeren. Heißt: Weiße Kaninchen aus dem Weißen Haus. Untertitel: Illusionskünstler im Dienste der Bush-Regierung. Thematisch gibt es einen deutlichen Konnex, würde ich sagen, aber das kannst Du gleich selbst beurteilen.
Die beiden Beispiele aus dem Blog des Spindoktor, auf die hier verwiesen sein soll, haben auf den ersten Blick kaum sichtbar das gleiche Thema. Aber eigentlich ist dieses Thema ein roter Faden durch ziemlich alle Beiträge in diesem Blog des Spindoktor:
- wie die Unternehmensseite – die so genannte “Wirtschaft”, das Kapital, die Arbeitgeberseite – die Politik vor sich hertreibt und zum Handeln in ihrem Sinne zwingt bzw. zwingen will und
- wie gleichzeitig die Politik – die Herrschaften Politikerinnen und Politiker – der Öffentlichkeit verkaufen wollen, dass sie tatsächlich an den Schalthebeln sitzen, und dass sie verantwortungsvoll und gerecht mit ihrer Handlungsmacht umgehen.
(Ja, ich meine schon die Handlungsmacht, die sie nicht haben.)
Die Verantwortung der Kontrolle
Beispiel eins widmet sich der Verantwortung und in diesem Beitrag stellt der Spindoktor eine verdammt interessante und brisante Frage. Der Beitrag heißt Affentrick: Nicht sehen und hören — weiter sagen! und handelt davon, dass doch viele große Kapazunder aus Politik und Wirtschaft in Aufsichtsräten sitzen.
Aufsichtsräte sind nun Kontrollgremien, erinnert der Spindoktor. Darin liegt ihre Legitimität, dass Aufsichtsräte kontrollieren sollten, ob alles mit rechten Dingen zu geht.
Wir wissen nur zu gut, dass nicht immer alles mit rechten Dingen zu geht. Schließlich dringt das manchmal sogar glasklar an die Öffentlichkeit und von der viel zitierten Dunkelziffer kann mensch sich selbst ein Bild basteln.
Die Frage ist nun, wie schaffen es die angesprochenen Kapazunder sich aus ihrer Verantwortung als Aufsichtsorgane zu manövrieren? Nämlich sogar in solchen Fällen, wo glasklar an die Öffentlichkeit dringt, dass ihre Kontrolle … mmh … entweder versagt oder offen gesprochen nie auch nur als ernsthafter Versuch gegeben war. ((Ein Schelm, wer hier an österreichische Fälle aus der nahen Vergangenheit denkt. Ist es nicht faszinierend, diese Sittengeschichte der des Bankenuntersuchungsausschusses, des Untersuchungsausschusses zum Eurofighterdeal, die Gerichtsverhandlung zur Verantwortung in der BAWAG-Pleite. Die Herrschaften sind allesamt sich keiner Verantwortung bewusst und ich tendiere dazu, ihnen das sogar zu glauben. Sie sind sich der Verantwortung tatsächlich nicht bewusst. Einer der auffälligsten und spannendsten Aspekte letzteren Gerichtsverfahrens ist doch aber genau dies, dass manchen Herren nach Monaten und Jahren dann langsam bewusst wird, dass sie eine Verantwortung gehabt hätten, dass sie diese nicht wahrgenommen haben und dass dies doch aller ernstens ein schuldhaftes Verhalten darstellt. Um das zu kapieren, dazu bedurfte es freilich monatelanger Auseinandersetzung und eines Prozesses des Vor-Augen-Führens, dem die Angeklagten nicht einfach mit Pressemitteilungen wegwischen können. Faszinierend.))
Das Beispiel des Spindoktor zerrt niemand geringeren ins symptomatische Licht als den Finanzminister Deutschlands und zeigt, wie dieser seine nicht wahrgenommene Verantwortung als Chef eines Verwaltungsrats der größten staatseigenen Bank locker – mit Spin – abwehrt, ablenkt und umlenkt.
Wie gesagt, ein symptomatisches Beispiel von vielen (im Beitrag selbst gibt es noch ein weiteres). Eine Frage liegt auf der Hand, für viele Kapazunder eine höchst unangenehme Frage, daher wohl auch kaum gestellt:
Die Verantwortung dem Sachzwang zu folgen
Das zweite Beispiel des Spindoktors, auf das hier verwiesen werden soll, behandelt:
wie sich auch die Politik von Spindoktoren übers Ohr hauen lässt
Auch dieses Beispiel – unter dem Link nachzulesen – können wir getrost als symptomatisch behandeln. Ein Unternehmen, eine Industrie spielt das Zuckerbrot und Peitsche-Spiel mit dem Staat und den politischen Repräsentanten. Das Unternehmen hofiert und schmeichelt, um Zuwendung und Förderung zu bekommen, droht und zeigt die kalte Schulter, um Zuwendung und Förderung zu erhalten.
Die Repräsentanten des Staates wollen die Produktivität des Unternehmens (der Industrie) für sich selbst verbuchen können, wollen die Anzahl der Beschäftigten und die Umsätze des Unternehmens auf der eigenen Leistungsbilanz anführen können und als ihre politische Leistung verkaufen. Und so spielen sie mit. Alles für das Image des Machers.
Der Mechanismus ist eintrainiert, funktioniert wie ein Reflex. Das Stichwort lautet Wettbewerb und Standortvorteil. Folgerichtig genügt es manchen Unternehmen (der Industrie), ein Szenario einfach nur zu malen, einfach nur so ein bißchen an die Wand zu werfen, um ihre Zuwendung, die Aufmerksamkeit, die Förderung, Erleichterungen, Gaben zu bekommen. ((In Österreich ist dafür, glaube ich, niemand so zuständig und aus der Perspektive der Unternehmen und Industrien, denke ich, so verlässlich wie der Wirtschafts- und Arbeitsminister Bartenstein. Also, das ist meine Einschätzung. Nicht mehr.))
Einer Meldung einen Spin geben, dazu reicht halt in der gegenwärtigen Wahrnehmungslage die dezent geflüsterte Andeutung, dies oder jenes könnte Arbeitsplätze kosten. Schon fragt kaum jemand mehr nach, oder? ((Die Namen, die mir hier für das Biotop Österreich zuvorderst einfallen, das sind der in der letzten Fußnote schon genannte Bartenstein, natürlich der sonore Veit Sorger und mein Vorbild Bernhard Felderer. Ich kann nur wiederholen, mensch höre sich deren Wortmeldungen genau an. Zu 95% ist die pauschale Aussage gerechtfertigt, dass deren Wortmeldungen zu maximal 3% irgendeinen greifbaren Gehalt haben, der Rest sind die immer gleichen Phrasen. Na stimmt’s nicht? Wir sollten das empirisch überprüfen. Was für ein Spass.))
Die Illusionskünstler im Dienste der Regierenden
Der Artikel in der LE MONDE diplomatique gehört leider nicht zu jenen, die im Netz zur Verfügung stehen. Daher kein Link sondern ein paar Passagen zur Werbung. Es hat ja einen Sinn, mensch sollte sich die Monatszeitung kaufen. So gesehen schon gut. ((Und mit etwas Verzögerung gibt es sowieso alles im Online-Archiv ganz frei.))
Zwei Wochen vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl, am 17. Oktober 2004 erschien im New York Magazine eine Titelgeschichte über George W. Bush, die einiges Aufsehen erregt. Darin berichtet der Pulitzer-Preisträger Ron Suskind von einem Gespräch, das er im Sommer 2002 mit einem wichtigen Bush-Berater geführt hatte:
“Der Mitarbeiter sagte mir, dass Typen wie ich zu denen gehörten, ‘die wir als die Realitätsgläubigen [the reality-based community] bezeichnen. Ihr gehört doch zu den Leuten, die glauben, dass Lösungsvorschläge auf der gründlichen Analyse der erkennbaren Wirklichkeit beruhen’. Ich nickte und murmelte etwas von den Prinzipien der Aufklärung und von Empirie. Er unterbrach mich: ‘Aber so funktioniert die Welt heute nicht mehr … Wir sind jetzt ein Imperium, und wenn wir handeln, schaffen wir unserer eigene Realität. Und während ihr diese Realität mit eurer gewohnten Gründlichkeit untersucht, handeln wir schon wieder und erschaffen weitere neue Realitäten, die ihr wieder untersuchen könnt – so läuft die Sache. Wir sind die Akteure der Geschichte … und euch, euch allen wird gar nichts anderes übrig bleiben, als das zu untersuchen, was wir machen.’
So leitet dieser schöne Artikel ein.
Realitätsgebundenheit vs. Inszenierierung von Realität
Ich finde die Übersetzung der ‘reality-based community’ eher unglücklich. Kein Vorwurf gegenüber dem Übersetzer Michael Adrian, weil selbiger hat uns im Text in eckiger Klammer das englische Original belassen.
Die Gruppe der Menschen, die realitätsverbunden sind oder an die Realität gebunden, das fände ich viel passender.
Kacke nochmal, ein Schmarrn, wenn mensch in seiner Wahrnehmung und Verarbeitung der Welt der Realität verbunden ist. So ist das nun mal. Bist du der Realität verbunden, dann hast Du eine offene Seite gegen jenen, die sich der Realität entbunden sehen.
Wir haben eine verletzbare Flanke gegenüber all jenen, die sich nicht durch das was ist gebunden fühlen.
Diese Ungebundenheit erlaubt das rauschhafte Gefühl, alles zu können. In der eigenen Phantasie mag das schön sein oder ein Fluch. Wer das vor und für andere kann, alles hinbiegen, alles so verdrehen, dass es in den eigenen Kram passt, der oder die hat ein machtvolles Werkzeug im Arsenal.
Allem den richtigen Spin geben zu können, das ist ein mächtiges Instrument. Damit lässt sich Kohle scheffeln, Status erringen, Geschichte machen.
Politikinszenierung? Inszenierung mythischer Dramen!
Die absoluten Profis halten sich nicht mit der Inszenierung von Politik auf. Das hätte bzw. hat den Hacken, dass es immer noch um Politik ginge, das Politik weiter sichtbar und damit weiter diskutierbar wäre. Die Meister der Zunft machen mit ihren Inszenierungen Politik obsolet. Wen interessiert die auch schon wirklich, wen nervt Politik nicht an? Doch doch, sie ödet ja an.
Viel besser, geiler, abgefahrener und bewundernswerter ist es, die Realität als fantastische Fernsehserie in hunderten Folgen in Szene zu setzen, laufen am Abgrund, in jeder Sekunde spannend und groß.
Der Religionswissenschaftler Ira Chernus bezeichnete Karl Roves Kommunikationsstrategie als “Strategie der Scheherazade”: “Wenn die Politik Sie zum Toe verurteilt, fangen Sie an, Geschichten zu erzählen: Geschichten, die so sagenhaft, so fesselnd, so bezaubernd sind, dass der König – in diesem Fall die amerikanischen Bürger, die zumindest theoretisch unser Land regieren – nicht mehr daran denken, das Todesurteil auszusprechen.”
Karl Rove, in den USA seit längster Zeit ein von Mythen umwobener Kapazunder, “Architekt” der Wahlsiege von George Bush und jener Berater, der von den armen Realitätsgebundenen gesprochen hat, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben, er ist schließlich auch in unseren Breiten bekannt geworden.
Karl Rove musste als Vizestabschefs der Regierung Bush gehen, angeblich aus familiären Gründen und obwohl ihn Bush und die Republikaner lange halten konnten. Aber er hat einfach zu viele Gesetze gebrochen.
Nachtrag:
eine schöne Analyse und Dekonstruktion eines Spendenaufrufes von “Kirchen-Werbestrategen” auf der Splitter & Balken-Seite. Nennt sich: … fairgeben, fairblöden.
2 Antworten auf „Spindoktoren und Illusionskünstler“
Diese Seite sollte den verantwortlichen in Politik und Wirtschaft als Verantwortungsspiegel vor Augen geführt werde. gerd
Es geht alles mit Rechten Dingen zu junger Mann.
Haben sie schon einmal eine Schaufel in der Hand gehalten ?
Haben sie schon einmal mit einem Rechen gearbeitet ?
Durften sie schon einmal auf einer Baustelle helfen ?
Eben.
Und sie wollen mir erklären daß etwas nicht mit “Rechten” Dingen zugeht ?