Habe ich gestern an dieser Stelle Robert Menasse dafür gedankt, dass er mir nicht nur aus der Seele gesprochen hat, sondern mit dem gleichen Problem ringend, dieses Problem vor mir und viel besser gelöst hat, so danke ich heute Franzobel für seinen Text, seine Rede bei der Sympathiekundgebung in Frankenburg und den Abdruck im Standard.
Österreich gegen Österreich
Im Zuge des Lesens dieser Rede ist mir freilich ein strategischer Fehler unterlaufen. Ich habe die Postings unter diesem Beitrag im Online-Standard gelesen. Vielleicht auch, weil Franzobel in seinem Text, seiner Rede darauf zu sprechen kommt. Passiert mir mittlerweile nicht mehr oft, aber es passiert. Es illustriert aber ganz treffend den Krieg um die Deutungsmacht in der Öffentlichkeit.
Es läuft immer nach dem selben Muster ab, konkurrierende Deutungen der Wirklichkeit:
Österreich ist ein Einwanderungsland — Österreich ist kein Einwanderungsland, private Unternehmen wirtschaften besser als der Staat — Unternehmer und Manager kümmern sich nur um ihren Gewinn, geht’s der Wirtschaft gut, geht’s den Menschen gut — es herrscht eine Politik der sozialen Kälte, Österreich ist ein schönes Land der Berge, der Heimatverbände, der Loden, der Salzburger Festspiele und der kernigen SteirerBuam — Österreich ist das Land von Schnitzler, Horvath und Jelinek, von Freud, dem Wiener Kreis und des Roten Wiens, wir sind ein Rechtsstaat und Gesetze müssen vollzogen werden — wir haben einen Rechtsstaat und der wird durch Menschenrechtsverletzungen unterminiert.
Es setzt sich etwas fort, woran ich die letzten Tage wieder öfter denken musste, es ringt Österreich gegen Österreich. Welche Deutung, was “Wir” sind setzt sich durch?
Die Vorteile liegen klar bei jenen, die in den Massenmedien zitiert werden, deren PK’s besucht und kommentiert werden, die Sendezeit im Rundfunk bekommen. Im Großen und Ganzen also jene – ich setze das wieder unter Anführungszeichen – “Volksvertreter”, die derart Menschen verachtende und zumindest in der Anlage menschenrechtswidrige Gesetze fordern, befördern und beschließen. Sie geben eine Stimmung vor. Sie setzen Themen, drängen andere in den Hintergrund. Sie behaupten für Österreich zu sprechen. Sie verwenden das “WIR” an allen möglichen Stellen, wo dieses wir nicht angebracht ist, und sie verwenden dieses “WIR” um sich dahinter zu verstecken.
Auf der anderen Seite, in the left corner(?), jene, die sich das nicht gefallen lassen, dass erstere, die mit dem Airplay, behaupten, ganz Österreich stünde hinter ihnen.
Wie peinlich sind denn PolitikerInnen, die ständig mit dieser flachen wie peinlichen Ansage kommen müssen, dass sie ja gerade in letzter Zeit soviel Zuspruch bekommen hätten.
Platter bekommt zustimmende Emails und unterstützende Postings
Genau, Platter wird nicht müde zu erklären, wie viel Unterstützung er nicht bekommt. Er hat natürlich auch jede Menge zustimmende Mails bekommen, sagt er:
[Audio:Platter_bekommt_Mails.mp3]
Und? Die Mails stehen jetzt wofür? Dass Sie die Mehrheit hinter sich haben, dass sie durch diese Mails demokratisch legitimiert sind?
So gesehen könnten wir die Postings im Internet auch zur demokratisch legitimierenden Mehrheit hinzuzählen, die hinter dem BMI und seinen Taten steht. Ein wenig aufgerundet und es ist tatsächlich Österreich, das hinter ihm steht. Und nicht nur die andere Seite, the right corner(?).
Die Postings, in denen die AsylantInnen etwa schwupp-di-wupp zu “Straftätern” umformuliert werden. (Ein Beispiel aus dem Postingbereich unter dem Franzobel-Text.)
Wie kommen “Wir”, d.h. manche Menschen dazu, AsylantInnen zu Straftätern umzudichten? AsylantInnen, in dem Falle aus dem Kosovo, nur mal kurz zur Erinnerung, das sind Menschen, die einem Krieg entkommen sind. Es war dieser Kosovokrieg im Gefolge der Jugoslawienkriege, jener Kriege, die durch die schnelle Unterstützung Deutschlands und Österreichs für die Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens angeheizt wurden.
Haider, Schlögl, Fuchs, Westenthaler, Strache, Platter
Könnte es sein, dass sie nur nachplappern, was jene ersteren mit Airplay ihnen ständig (und wieder und wieder und wieder und wieder) vorbeten? Könnte es sein, dass diese PolitikerInnen im Verbund mit anderen, die es dann sichtbar übertreiben, von Vorverurteilungen, Dämonisierungen, erfundenen Feindbildern leben?
À la der Feind, wenn er nur abwertend genug gemalt ist, sammelt die Getreuen hinter mir und gibt ihnen ein Überlegenheitsgefühl, dass sie mir gegenüber dankbar sein lässt. Oder à la, wenn ich dieses Gesetz, diese Politik durchbringen will (und die bringt’s, glaub mir), dann erzeugen wir mal diese Situation, wo das Gesetz dann gegen einen fiktiven Feind helfen soll.
—
Platter im Interview, als wahrer Spezialist für Vorverurteilungen (oben im Bild ein Beispiel aus dem April 2007), verteidigt er hier im folgenden Tonbeispiel recht unverhohlen seine semantischen Tricks. Seine Pflicht sind diese Vorverurteilungen, sagt er:
[Audio:Platter_gesteht_Vorverurteilung.mp3]
Übrigens, hierbei handelt es sich nicht um das Interview vom Freitag, dem 5. Oktober. Diese letzte Sequenz entstammt einem Interview aus dem Mittagsjournal des 14. Juli 2007.
Momentan herrscht die Empörung und Berichterstattung zum (Einzel-)Fall Zogaj vor. Das Interview von Mitte Juli, also gut zweieinhalb Monate früher illustriert nachhaltig, dass dem aktuellen Einzelfall bereits jede Menge anderer Einzelfälle vorausgegangen sind. Und jede Menge verlogene Beschönigungen, Nebelgranaten und Falschmeldungen Platters.
Hier das nächste Tonbeispiel, die Einleitung zum ‘Im Journal zu Gast’-Interview mit BMI Platter vom Juli 2007:
[Audio:Einleitung_Interview_Platter.mp3]
Tarnen, Täuschen und Täter-Opfer-Umkehr
Das ist nun mal das politische Geschäft. Und das politische Geschäft wird nun mal unter Ausnutzung der Deutungsmacht betrieben, die man hat, wenn einem das Airplay sicher ist. Airplay heißt, eine Stimme haben und diese Stimme nutzen, um andere Stimmen zum Schweigen zu bringen. Airplay heißt, ich kann meine Deutung der Wirklichkeit in den Raum stellen und ihr könnt nichts dagegen tun. Airplay heißt, ich kann meine Überlegungen und Überzeugungen ausbreiten, über mich reden, nochmals über mich reden, drei weitere Minuten dem widmen, wie es mir dabei geht, wenn ich meine Verantwortung für Österreich wahrnehme und noch etwas anhängen, was mich in einem besseren Licht erscheinen lässt.
Aber wehe, dass jene, die von mir vorverurteilt wurden, womit ihnen die Hälfte der Leute sowieso nicht mehr glaubt, selbst wenn sie etwas sagen können, wehe wenn die eine Videobotschaft nutzen, um ein Gesicht zu bekommen und eine konkrete Stimme zu artikulieren. ERPRESSUNG! Wo kämen wir da hin, wenn alle ihre Stimme erheben, denen das von vornherein abgesprochen wird? Das kann sich der Rechtsstaat nicht bieten lassen, sagt Platter.
Hier jedoch ein anderer Ausschnitt aus dem letzten Interview vom 5. Oktober. Platter ist auch hier empört. Recht hat er, man kann ihm doch nicht vorwerfen, was unabhängige Gerichte entscheiden:
[Audio:Platter_putzt_sich_ab.mp3]
Einen Tag vorher, ebenfalls im Ö1 Mittagsjournal, ein Bericht zur Arbeit des unabhängigen Bundesasylsenats (UBAS). Zu hören ist unter anderem die stellvertretende Vorsitzende des UBAS Richterin Ulrike Wintersberger. Sie erklärt die Einzelprüfung heikler Familienabschiebungen:
[Audio:BAS_noch_nicht.mp3]
Richtig gehört, das war kein unabhängiges Gericht, das im Fall der Familie Zogaj entschieden hat, wie es dem Herrn Platter gelegen wäre, dass wir das glauben:
Sie können doch mir nicht zum Vorwurf machen, was ein unabhängige Gericht entscheiden.
Da war der unabhängige Bundesasylsenat noch gar nicht zuständig. Die Kriterien des Artikel 8 der Menschenrechtskonvention zum Eingriff ins Familienleben und der Grad der Integration wäre im Fall der kosovarischen Familien sehr wohl zum tragen gekommen, sagt Ulrike Wintersberger …
.. allerdings sei zu jenem Zeitpunkt als diese Entscheidungen getroffen wurden, noch das Innenministerium zuständig gewesen, und nicht der Bundesasylsenat.
Es mag sich jede und jeder selbst entscheiden: Platter, der aufrechte verantwortungsbewusste Verteidiger des Rechtsstaats?
Oder Platter, der jämmerliche Feigling, der sich hinter verlogenen Deutungsversuchen versteckt?
Auch in den Foren tobt weiter der Kampf um die Deutung. Im Postingbereich zum Franzobel-Text die zwei Postings, die meinen heutigen Beitrag hier im Kellerteil evoziert haben:
User Bauti11 (5 Minus-Bewertungen, 5 Plus):
halb so wild
Lieber Franzobel, sie sind halt ein Schriftsteller, sie sind einer der Künstler, die Österreich so schön machen. Man muss Ihnen einfach verzeihen, auch wenn Sie Unrecht haben. Also: Die Gesetze des Rechtsstaates müssen vollzogen werden, auch wenn sie Ihnen nicht passen.
Politik ist das Spiel mit dem Imaginären. Warum verdammt noch mal, ist es so schwierig, nicht darauf einzusteigen?
Weil wir unsere “Wir”-Identität nicht der Definition der jeweils anderen überlassen wollen:
User kellerabteil (3 Minus, 2 Plus):
Re: halb so wild
Sie haben es immer noch nicht kapiert.
Der BMI, ebenso wie — nonaned — sein ihm unterstelltes und weisungsgebundenes Ministerium, ebenso wie die ÖVP, sie alle argumentieren zwar, dass hier “rechtmäßig” vollzogen werden MÜSSE.
Sie wiederholen das allerdings nur deshalb so gebetsmühlenartig, um davon abzulenken, und um darauf nicht einzugehen, dass dieser Vollzug wie er durchgeführt wird NICHT RECHTMÄßIG ist.Es ist also das nachgerade Gegenteil von dem, was der BMI, was die ÖVP und was Sie behaupten.
Diese Abschiebungen, die im Ausland nicht zu Unrecht als Deportationen bezeichnet werden, sind nicht nur moralisch UNRECHT, sie sind auch vor dem österreichischen Recht Unrecht.Ham Sie’s jetzt kapiert?
Oder wollen Sie es nicht kapieren.
Eine Antwort auf „Franzobel setzt nach, Platter auch“
hallo nach wien,
mir ist vom forenlesen im standard auch schlecht geworden. aber schlimmer sind noch andere foren…
da ist mein eintrag dazu. nicht sehr gut, aber wie gesagt, mir war schlecht…
http://www.kakanien.ac.at/weblogs/imaginesee/index_html
(weiss nicht, ob das bei dir automatisch verlinkt?)
lg
sabine