Aus einem Buch, welches ich persönlich gerne zum Klassiker erheben möchtete; und das ich noch lieber als Pflichtprogramm sähe für StudentInnen der Soziologie, aber auch weiterer Sozialwissenschaften ebenso wie für in Wirklichkeit sowieso alle. 😉 Ein Buch, das z.B. einen perfekten Einstieg in sozialwissenschaftliches Wissen für Jugendliche bieten würde.
Sagen wir vielleicht ‘Schulstufe 6’:
Die soziale Gruppe und Gruppenverbände
Systematische Einführung in die Folgen von Vergesellschaftung
Ach ja! Und dieses SoZi – mit verspätetem Erscheinungstermin 🙄 – hat übrigens kurzfristig und aus gegebenen Anlass ein anderes, ursprünglich hier vorgesehenes verdrängt. Der Anlass:
die in der Blogosphäre, auf Twitter und also allgemein in web2.0‑Strukturen geführten Diskussionen(?) rund um die “Grüne Vorwahlen”-Initiative.
Ein Lehrbeispiel von Zwangsprozessen (siehe unten) ((… und freilich ist da mehr, und vl. auch ein weiteres Sonntagszitat nächste Woche zu Orientierungs- und Bezugsgruppen, vl. irgendwann zu Gruppen zweiter Ordnung.)), also solchen, die in der sozialen Formierung unumgänglich sind, was nicht das “wie” sondern das “dass” meint. Dass mir das “wie” nicht sonderlich sympathisch ist, mag ich nicht mehr verhehlen und hab das auch hier zuletzt kommentiert.
Ob ich die letzte Nacht gemachten 3seitigen Notizen noch Online stelle, dazu geben ich mir sicherheitshalber noch ne weitere Nacht Bedenkzeit. Hier jetzt einfach das SoZi zur Woche:
1. Kleine Gruppen als “Russelsche Strukturen”
Kleine Gruppen, d.h. soziale Formationen von mehreren bis ca. 25 Menschen, treten als vororganisierte Zwangsgruppen oder sich organisierende freie Gruppen, d.h. als “strukturiert” auf: Sie werden zu “Strukturen” geformt oder formen sich zu “Strukturen”. Struktur meint dabei einen geregelten Aufbau, der im “Funktionieren” der Gruppe zum Ausdruck kommt. So glauben wir meistens eine “Familie” zu erkennen, wenn wir zwei gegengeschlechtliche Erwachsene mit zwei “Kindern” sehen; auf der Straße marschierende Reihen Uniformierter werden als militärische oder paramilitärische Gruppe identifiziert. Was sehen wir aber “eigentlich”? Wir sehen einzelne Menschen, sozusagen “Elemente” einer sich abzeichnenden sozialen Formation, die als solche Elemente auf einen bestimmten Zusammenhang (der in unserer Kultur bekannt ist) verweisen. [..]
Dieser “Zusammenhang” ist, soziologisch angesprochen, nichts anderes als “verbindliche Verhaltensanweisung” (Norm). Setzt man hierfür “Syntax” (Zusammenordnung von Wörtern, Bedeutungsbestandteilen, Teilen, Verhaltensweisen) so ergibt sich, daß wir “Gruppen” identifizieren, indem wir in ihnen Elemente erkennen, die nach einer bestimmten Syntax zueinandergeordnet sind, das heißt bei Menschen: sich ihr – unfreiwillig oder freiwillig – unterwerfen. [..]
Damit erkennen wir Gruppen als “Russelsche Strukturen”, das heißt Strukturen, die sich über einer Basis bilden, die aus Elemten besteht, die nach einer Syntax angeordnet sind. Oder: Die kleine konkret auftretende Gruppe ist eine Variante begrenzter Möglichkeiten. ((Wie übrigens alle weiteren größeren sozialen Verbände bis zum “Staat” hinauf.))2. Weitere formierende Faktoren
Eingelagert in diejenigen Lebensformen und Verhaltensprozesse, die von der gesellschaftlich bestimmten, oft kulturell vorgegebenen Basis (Elemente und Syntax) sich typisch ableiten lassen, sind Prozesse mit einem gewissen Zwangscharakter. [..]Zwang zur Selbstdarstellung
[..] Die Selbstdarstellung – als ein Zwang für alle Mitglieder einer Gruppe – ist konstituierend oder kennzeichnend für den Druck, den Gruppenbildung auf die Beteiligten ausübt und ausüben wird: den Druck in Richtung auf eine Homogenisierung auf mittlerem Niveau. [..]Zwang, den anderen registrieren zu müssen
[..] In diesem Klärungsprozess der beteiligten “Charaktere” geschieht aber auch notwendig ein Annäherungsprozess. [..] Es muss ein “Erwartungsgefüge” entstehen, an dem “man” sich gegenseitig orientieren kann. [..]Zwang zur Bildung eines Binnenselbstverständnisses
[..] Zu dieser gegenseitigen Bestätigung hilft in hervorragendem Maße die Bildung einer “Gruppensprache”. [..]Zwang zur Außendarstellung gegenüber der Umwelt
[..] Am deutlichsten werden mögliche Differenzen zwischen Binnenselbstverständnis und Außendarstellung dort, wo sich Gruppen ihrem Binnenselbstverständnis nach ausdrücklich gegen Normen oder auch “herrschende” Werte der Umgebenden Gesellschaft stellen, im Extremfall dagegen zu agieren bereit sind, zum Beisptiel be sogenannten “konspirativen” Gruppen. Deren Basis ist besonders klar: Ihre Elemente haben ausschließlich aus eindeutig “zuverlässigen”, das heißt hier: ideologisch zuverlässigen, Mitgliedern zu bestehen; auch “fachlich” notwendigerscheindende Kompetenzen mitbringende, das heißt besonders in dieser Dimension erwünschte Mitglieder müssen voll und ganz “auf der Linie” sein (was zu erheblichen Problemen führen kann). [..]“Investitionen”
[..] Die Selbstdarstellung zur eigenen Integration in eine Zwangsgruppe oder eine freiwilliger gebildete Gruppe ist bereits unter dem Aspekt der Investitionen zu sehen: Schon das bloße Erscheinen bedeutet eine Investition von Zeit, von Entschluß, konkret “da” sein, Zeit-daran-Geben, Sprechen, Bleiben, Mitmachen. Investition ist aber auch das – unvermeidliche – Registrieren der anderen, das Sich-mit-ihnen-Beschäftigen, Sie-in-sie-Einordnen, Auf-sie-Eingehen, Sich-zu-ihnen-Abstimmen. Investition erfolgt also gegenseitig. Typisch steigert sich dabei die Investitionsintensität, zugleich vermehrt sich auch die Investitionsmasse. [..]Realitätsverhältnis
[..] Die Gruppe beginnt eine Grenze um sich zu ziehen, wird konfliktfähig, “institutionalisiert” sich. Dieser Vorgang des Sicheinigens auf ein “Weltbild” oder eine Weltansicht, welcher Konzentration, Innenstabilisierung/Institutionalisierung, höhere Konfliktfähigkeit, eigene und Gruppenidentität umfaßt, kann mit dem Begriff der “Insulation” gekennzeichnet werden. Die sich gegen außen abgrenzende Gruppe entwickelt ihr eigenes Innenklima, das charakteristisch von der Umwelt abweicht, sich gegen sie absetzt. [..]
Claessens, Dieter (1995 [1977]):
Gruppe und Gruppenverbände. Systematische Einführung in die Folgen von Vergesellschaftung
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2 Antworten auf „SoZi 19|09: Die Gruppe“
[…] Sonntagszitat noch einmal als Fortsetzung des SoZi 19|09 und des Feiertagszitats 21|09 zur Gruppensoziologie. Allerdings gibt es noch nicht, wie eigentlich […]
[…] im SoZi 19|09 zur ’sozialen Gruppe’ begonnene Miniserie widmet sich heute der Bezugs- und der […]